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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Viertes Kapitel. §. 34.
bei Lukas lesen 7); sondern man muss in der Oekonomie
dieses Theils der evangelischen Geschichte und in dem In-
teresse der urchristlichen Sage die Veranlassung nachwei-
sen, warum dergleichen von Jesu in Umlauf kam. Was
nun das Erstere betrifft, so wird man die Parallele nicht
verkennen, welche zwischen dieser Scene bei der Darstel-
lung Jesu im Tempel, und der bei der Beschneidung des
Täufers nach der Erzählung desselben Evangelisten statt-
findet, indem beidemale, dort durch den Vater, hier durch
einen andern frommen Mann, auf Antrieb des heiligen Gei-
stes Gott für die Geburt dieser Retter gedankt, und ihr
künftiger Beruf prophetisch vorausverkündigt wird. Dass
diese Scene das einemal an die Beschneidung, das andre-
mal an die Darstellung im Tempel sich geknüpft hat, scheint
zufällig; hatte aber einmal in Bezug auf Jesum die Sage
seine Darstellung im Tempel so verherrlicht: so musste die
Beschneidung, wie wir es oben gefunden haben, leer aus-
gehen. -- Dass aber eine solche Erzählung im Interesse
der Sage lag, ist ebenfalls leicht einzusehen. Wer sich
als Mann so augenscheinlich als den Messias zu erkennen
gab, der muss, dachte man, auch schon als Kind für ein
durch den göttlichen Geist geschärftes Auge als solcher zu
erkennen gewesen sein; derjenige, welcher in späterer Zeit
durch mächtige Reden und Thaten sich als den Sohn Got-
tes erwies, gewiss, er hat auch schon ehe er sprechen und
sich frei bewegen konnte, den göttlichen Stempel getragen.
Ferner, wenn Menschen, vom Geiste Gottes getrieben, Je-
sum so frühe schon liebend und ehrfurchtsvoll in die Ar-
me schlossen: dann war auch der Geist, der ihn beseelte,
nicht, wie man ihm vorwarf, ein ungöttlicher, und wenn

7) So E. F. in der Abhandlung über die beiden ersten Kapp.
des Matth. und Lukas. In Henke's Magazin 5. Bd. S. 169 f.
Eine ähnliche Halbheit bei Matthaei, Synopse der vier Evang.
S. 3. 5 f.

Viertes Kapitel. §. 34.
bei Lukas lesen 7); sondern man muſs in der Oekonomie
dieses Theils der evangelischen Geschichte und in dem In-
teresse der urchristlichen Sage die Veranlassung nachwei-
sen, warum dergleichen von Jesu in Umlauf kam. Was
nun das Erstere betrifft, so wird man die Parallele nicht
verkennen, welche zwischen dieser Scene bei der Darstel-
lung Jesu im Tempel, und der bei der Beschneidung des
Täufers nach der Erzählung desselben Evangelisten statt-
findet, indem beidemale, dort durch den Vater, hier durch
einen andern frommen Mann, auf Antrieb des heiligen Gei-
stes Gott für die Geburt dieser Retter gedankt, und ihr
künftiger Beruf prophetisch vorausverkündigt wird. Daſs
diese Scene das einemal an die Beschneidung, das andre-
mal an die Darstellung im Tempel sich geknüpft hat, scheint
zufällig; hatte aber einmal in Bezug auf Jesum die Sage
seine Darstellung im Tempel so verherrlicht: so muſste die
Beschneidung, wie wir es oben gefunden haben, leer aus-
gehen. — Daſs aber eine solche Erzählung im Interesse
der Sage lag, ist ebenfalls leicht einzusehen. Wer sich
als Mann so augenscheinlich als den Messias zu erkennen
gab, der muſs, dachte man, auch schon als Kind für ein
durch den göttlichen Geist geschärftes Auge als solcher zu
erkennen gewesen sein; derjenige, welcher in späterer Zeit
durch mächtige Reden und Thaten sich als den Sohn Got-
tes erwies, gewiſs, er hat auch schon ehe er sprechen und
sich frei bewegen konnte, den göttlichen Stempel getragen.
Ferner, wenn Menschen, vom Geiste Gottes getrieben, Je-
sum so frühe schon liebend und ehrfurchtsvoll in die Ar-
me schlossen: dann war auch der Geist, der ihn beseelte,
nicht, wie man ihm vorwarf, ein ungöttlicher, und wenn

7) So E. F. in der Abhandlung über die beiden ersten Kapp.
des Matth. und Lukas. In Henke's Magazin 5. Bd. S. 169 f.
Eine ähnliche Halbheit bei Matthaei, Synopse der vier Evang.
S. 3. 5 f.
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[263/0287] Viertes Kapitel. §. 34. bei Lukas lesen 7); sondern man muſs in der Oekonomie dieses Theils der evangelischen Geschichte und in dem In- teresse der urchristlichen Sage die Veranlassung nachwei- sen, warum dergleichen von Jesu in Umlauf kam. Was nun das Erstere betrifft, so wird man die Parallele nicht verkennen, welche zwischen dieser Scene bei der Darstel- lung Jesu im Tempel, und der bei der Beschneidung des Täufers nach der Erzählung desselben Evangelisten statt- findet, indem beidemale, dort durch den Vater, hier durch einen andern frommen Mann, auf Antrieb des heiligen Gei- stes Gott für die Geburt dieser Retter gedankt, und ihr künftiger Beruf prophetisch vorausverkündigt wird. Daſs diese Scene das einemal an die Beschneidung, das andre- mal an die Darstellung im Tempel sich geknüpft hat, scheint zufällig; hatte aber einmal in Bezug auf Jesum die Sage seine Darstellung im Tempel so verherrlicht: so muſste die Beschneidung, wie wir es oben gefunden haben, leer aus- gehen. — Daſs aber eine solche Erzählung im Interesse der Sage lag, ist ebenfalls leicht einzusehen. Wer sich als Mann so augenscheinlich als den Messias zu erkennen gab, der muſs, dachte man, auch schon als Kind für ein durch den göttlichen Geist geschärftes Auge als solcher zu erkennen gewesen sein; derjenige, welcher in späterer Zeit durch mächtige Reden und Thaten sich als den Sohn Got- tes erwies, gewiſs, er hat auch schon ehe er sprechen und sich frei bewegen konnte, den göttlichen Stempel getragen. Ferner, wenn Menschen, vom Geiste Gottes getrieben, Je- sum so frühe schon liebend und ehrfurchtsvoll in die Ar- me schlossen: dann war auch der Geist, der ihn beseelte, nicht, wie man ihm vorwarf, ein ungöttlicher, und wenn 7) So E. F. in der Abhandlung über die beiden ersten Kapp. des Matth. und Lukas. In Henke's Magazin 5. Bd. S. 169 f. Eine ähnliche Halbheit bei Matthaei, Synopse der vier Evang. S. 3. 5 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/287>, abgerufen am 23.11.2024.