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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
von und unter zwei Jahren, sich bezieht. Freilich nach
der Erzählung des Exodus ist der Mordbefehl ganz ohne
Rücksicht auf den Moses gegeben, von dessen Geburt Pha-
rao nichts ahnt, und der also nur zufällig durch jenen Be-
fehl mitgefährdet wird: aber diese Darstellung war der
Tradition im hebräischen Volke nicht absichtsvoll genug, und
sie hat daher schon bei Josephus eine Wendung erhalten,
durch welche sie den Sagen von Cyrus und Augustus, aber
auch der Erzählung des Matthäus bedeutend ähnlicher
wurde, die nämlich, dass eine Eröffnung seiner Schriftdeu-
ter (wie bei Herodot der Traumdeuter und bei Matthäus
der Sterndeuter), es werde ein Kind geboren werden, das
den Israeliten aufhelfen, die Ägypter aber demüthigen wür-
de, den Pharao zu jenem Mordbefehl veranlasst habe 20).
Wie den Gesetzgeber, so liess die Sage bald auch den
Stammvater der Nation, kaum geboren, durch den Mord-
anschlag eines argwöhnischen Tyrannen in Lebensgefahr
gerathen. Wie dem Moses Pharao als Feind und Unter-
drücker entgegenstand, so wurde dem Abraham Nimrod
in der gleichen Rolle gegenübergestellt. Diesem sagten sei-
ne Weisen, durch einen ausgezeichneten Stern aufmerksam
gemacht, dass dem Tharah ein Sohn geboren sei, von wel-
chem ein gewaltiges Volk abstammen werde, worauf er
ebenfalls einen Mordbefehl ergehen lässt, welchem jedoch
Abraham glücklich entgeht 21). Was Wunder, dass man

20) Joseph. Antiq. 2, 9, 2: ton ierogrammateon tis -- -- ag-
gellei to basilei, tekhthesesthai tina kat' ekeinon ton
kairon tois Israelitais, os tapeinosei men ten Ai-
guption egemonian, auxesei de tous Israelitas trapheis,
arete de pantas uperbalei, kai doxan a[ou]imneson kte-
setai. Deisas de o basileus, kata gnomen ten ekeinou
keleuei pan to gennethen arsen upo ton Israeliton eis
ton potamon Riptountas diaphtheirein.
21) Jalkut Rubeni (Fortsetzung der Anm. 7. angeführten Stelle):
dixerunt sapientes Nimrodi: natus est Tharae filius hac ipsa
hora, ex quo egressurus est populus, qui haereditabit prae-

Erster Abschnitt.
von und unter zwei Jahren, sich bezieht. Freilich nach
der Erzählung des Exodus ist der Mordbefehl ganz ohne
Rücksicht auf den Moses gegeben, von dessen Geburt Pha-
rao nichts ahnt, und der also nur zufällig durch jenen Be-
fehl mitgefährdet wird: aber diese Darstellung war der
Tradition im hebräischen Volke nicht absichtsvoll genug, und
sie hat daher schon bei Josephus eine Wendung erhalten,
durch welche sie den Sagen von Cyrus und Augustus, aber
auch der Erzählung des Matthäus bedeutend ähnlicher
wurde, die nämlich, daſs eine Eröffnung seiner Schriftdeu-
ter (wie bei Herodot der Traumdeuter und bei Matthäus
der Sterndeuter), es werde ein Kind geboren werden, das
den Israëliten aufhelfen, die Ägypter aber demüthigen wür-
de, den Pharao zu jenem Mordbefehl veranlaſst habe 20).
Wie den Gesetzgeber, so lieſs die Sage bald auch den
Stammvater der Nation, kaum geboren, durch den Mord-
anschlag eines argwöhnischen Tyrannen in Lebensgefahr
gerathen. Wie dem Moses Pharao als Feind und Unter-
drücker entgegenstand, so wurde dem Abraham Nimrod
in der gleichen Rolle gegenübergestellt. Diesem sagten sei-
ne Weisen, durch einen ausgezeichneten Stern aufmerksam
gemacht, daſs dem Tharah ein Sohn geboren sei, von wel-
chem ein gewaltiges Volk abstammen werde, worauf er
ebenfalls einen Mordbefehl ergehen läſst, welchem jedoch
Abraham glücklich entgeht 21). Was Wunder, daſs man

20) Joseph. Antiq. 2, 9, 2: τῶν ἱερογραμματέων τις — — ἀγ-
γέλλει τῷ βασιλεῖ, τεχϑήσεσϑαί τινα κατ' ἐκεῖνον τὸν
καιρὸν τοῖς Ἰσραηλίταις, ὃς ταπεινώσει μὲν τὴν Αἰ-
γυπτίων ἡγεμονίαν, αὐξήσει δὲ τοὺς Ἰσραηλίτας τραφεὶς,
ἀρετῇ δὲ πάντας ὑπερβαλεῖ, καὶ δόξαν ἀ[ου]ίμνηςον κτή-
σεται. Δείσας δὲ ὁ βασιλεὺς, κατὰ γνώμην τὴν ἐκείνου
κελεύει πᾶν τὸ γεννηϑὲν ἄρσεν ὑπὸ τῶν Ἰσραηλιτῶν εἰς
τὸν ποταμὸν ῥιπτοῦντας διαφϑείρειν.
21) Jalkut Rubeni (Fortsetzung der Anm. 7. angeführten Stelle):
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hora, ex quo egressurus est populus, qui haereditabit prae-
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[250/0274] Erster Abschnitt. von und unter zwei Jahren, sich bezieht. Freilich nach der Erzählung des Exodus ist der Mordbefehl ganz ohne Rücksicht auf den Moses gegeben, von dessen Geburt Pha- rao nichts ahnt, und der also nur zufällig durch jenen Be- fehl mitgefährdet wird: aber diese Darstellung war der Tradition im hebräischen Volke nicht absichtsvoll genug, und sie hat daher schon bei Josephus eine Wendung erhalten, durch welche sie den Sagen von Cyrus und Augustus, aber auch der Erzählung des Matthäus bedeutend ähnlicher wurde, die nämlich, daſs eine Eröffnung seiner Schriftdeu- ter (wie bei Herodot der Traumdeuter und bei Matthäus der Sterndeuter), es werde ein Kind geboren werden, das den Israëliten aufhelfen, die Ägypter aber demüthigen wür- de, den Pharao zu jenem Mordbefehl veranlaſst habe 20). Wie den Gesetzgeber, so lieſs die Sage bald auch den Stammvater der Nation, kaum geboren, durch den Mord- anschlag eines argwöhnischen Tyrannen in Lebensgefahr gerathen. Wie dem Moses Pharao als Feind und Unter- drücker entgegenstand, so wurde dem Abraham Nimrod in der gleichen Rolle gegenübergestellt. Diesem sagten sei- ne Weisen, durch einen ausgezeichneten Stern aufmerksam gemacht, daſs dem Tharah ein Sohn geboren sei, von wel- chem ein gewaltiges Volk abstammen werde, worauf er ebenfalls einen Mordbefehl ergehen läſst, welchem jedoch Abraham glücklich entgeht 21). Was Wunder, daſs man 20) Joseph. Antiq. 2, 9, 2: τῶν ἱερογραμματέων τις — — ἀγ- γέλλει τῷ βασιλεῖ, τεχϑήσεσϑαί τινα κατ' ἐκεῖνον τὸν καιρὸν τοῖς Ἰσραηλίταις, ὃς ταπεινώσει μὲν τὴν Αἰ- γυπτίων ἡγεμονίαν, αὐξήσει δὲ τοὺς Ἰσραηλίτας τραφεὶς, ἀρετῇ δὲ πάντας ὑπερβαλεῖ, καὶ δόξαν ἀουίμνηςον κτή- σεται. Δείσας δὲ ὁ βασιλεὺς, κατὰ γνώμην τὴν ἐκείνου κελεύει πᾶν τὸ γεννηϑὲν ἄρσεν ὑπὸ τῶν Ἰσραηλιτῶν εἰς τὸν ποταμὸν ῥιπτοῦντας διαφϑείρειν. 21) Jalkut Rubeni (Fortsetzung der Anm. 7. angeführten Stelle): dixerunt sapientes Nimrodi: natus est Tharae filius hac ipsa hora, ex quo egressurus est populus, qui haereditabit prae-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/274>, abgerufen am 12.05.2024.