Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Viertes Kapitel. §. 31. lichen enthält: so muss man zum Zweifel an dem histori-schen Charakter der Erzählung, und zu der Vermuthung geführt werden, dass wir hier etwas Sagenhaftes vor uns haben. Von dieser mythischen Auffassungsweise sind aber auch hier die ersten Versuche so ungeschickt ausgefallen, dass sie über die Sphäre der natürlichen Erklärung, wel- che sie überfliegen wollten, in der That nicht hinausge- kommen sind. Der Verfasser einer schon öfters angeführ- ten Abhandlung über die beiden ersten Kapitel des Mat- thäus und Lukas 11) glaubt das ursprünglich Geschichtli- che und die sagenhaften Zuthaten der Erzählung auf folgende Weise scheiden zu können. Historisch, meint er, möge sein, dass, bei der allgemeinen Erwartung des Mes- sias in jener Zeit, einigen arabischen Juden, die sich mit Astronomie beschäftigten, ein Komet aufgefallen war, des- sen von ihnen angenommene Beziehung auf den Messias sie zu einer Reise nach Jerusalem, wo sie Herodes zu sich kommen liess, und von da nach Bethlehem veranlasste; wobei nun aber das Vorangehen und Stehenbleiben des Sterns mythische Zuthat sei. In Bethlehem, wo vielleicht gerade kein andres neugebornes Kind war, fanden sie das der Maria, welches sie jedoch seines armseligen Zustandes wegen nicht für das messianische erkannten, sondern, nach- dem sie ihm aus Mitleid Einiges von ihren Schätzen ge- schenkt, auf einem andern Wege zurückreisten, indem sie es nicht für der Mühe werth hielten, dem Herodes von ihrem vergeblichen Gange Rapport zu erstatten. Weil nun aber der Sohn der Maria sich später als Messias auswies, so drehte sich die Erzählung: der Stern musste ihnen den Weg zu ihm gezeigt haben, sie selbst huldigend vor dem Kinde niedergefallen sein, und ein Engel sie gewarnt 11) In Henke's Magazin 5, 1, 171 ff. Auf etwas Ähnliches läuft auch die Ansicht von Matthaei, Religionsgl. der Apostel, 2, S. 422 ff. hinaus. Das Leben Jesu I. Band. 16
Viertes Kapitel. §. 31. lichen enthält: so muſs man zum Zweifel an dem histori-schen Charakter der Erzählung, und zu der Vermuthung geführt werden, daſs wir hier etwas Sagenhaftes vor uns haben. Von dieser mythischen Auffassungsweise sind aber auch hier die ersten Versuche so ungeschickt ausgefallen, daſs sie über die Sphäre der natürlichen Erklärung, wel- che sie überfliegen wollten, in der That nicht hinausge- kommen sind. Der Verfasser einer schon öfters angeführ- ten Abhandlung über die beiden ersten Kapitel des Mat- thäus und Lukas 11) glaubt das ursprünglich Geschichtli- che und die sagenhaften Zuthaten der Erzählung auf folgende Weise scheiden zu können. Historisch, meint er, möge sein, daſs, bei der allgemeinen Erwartung des Mes- sias in jener Zeit, einigen arabischen Juden, die sich mit Astronomie beschäftigten, ein Komet aufgefallen war, des- sen von ihnen angenommene Beziehung auf den Messias sie zu einer Reise nach Jerusalem, wo sie Herodes zu sich kommen lieſs, und von da nach Bethlehem veranlasste; wobei nun aber das Vorangehen und Stehenbleiben des Sterns mythische Zuthat sei. In Bethlehem, wo vielleicht gerade kein andres neugebornes Kind war, fanden sie das der Maria, welches sie jedoch seines armseligen Zustandes wegen nicht für das messianische erkannten, sondern, nach- dem sie ihm aus Mitleid Einiges von ihren Schätzen ge- schenkt, auf einem andern Wege zurückreisten, indem sie es nicht für der Mühe werth hielten, dem Herodes von ihrem vergeblichen Gange Rapport zu erstatten. Weil nun aber der Sohn der Maria sich später als Messias auswies, so drehte sich die Erzählung: der Stern muſste ihnen den Weg zu ihm gezeigt haben, sie selbst huldigend vor dem Kinde niedergefallen sein, und ein Engel sie gewarnt 11) In Henke's Magazin 5, 1, 171 ff. Auf etwas Ähnliches läuft auch die Ansicht von Matthaei, Religionsgl. der Apostel, 2, S. 422 ff. hinaus. Das Leben Jesu I. Band. 16
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Viertes Kapitel. §. 31.
lichen enthält: so muſs man zum Zweifel an dem histori-
schen Charakter der Erzählung, und zu der Vermuthung
geführt werden, daſs wir hier etwas Sagenhaftes vor uns
haben. Von dieser mythischen Auffassungsweise sind aber
auch hier die ersten Versuche so ungeschickt ausgefallen,
daſs sie über die Sphäre der natürlichen Erklärung, wel-
che sie überfliegen wollten, in der That nicht hinausge-
kommen sind. Der Verfasser einer schon öfters angeführ-
ten Abhandlung über die beiden ersten Kapitel des Mat-
thäus und Lukas 11) glaubt das ursprünglich Geschichtli-
che und die sagenhaften Zuthaten der Erzählung auf
folgende Weise scheiden zu können. Historisch, meint er,
möge sein, daſs, bei der allgemeinen Erwartung des Mes-
sias in jener Zeit, einigen arabischen Juden, die sich mit
Astronomie beschäftigten, ein Komet aufgefallen war, des-
sen von ihnen angenommene Beziehung auf den Messias
sie zu einer Reise nach Jerusalem, wo sie Herodes zu sich
kommen lieſs, und von da nach Bethlehem veranlasste;
wobei nun aber das Vorangehen und Stehenbleiben des
Sterns mythische Zuthat sei. In Bethlehem, wo vielleicht
gerade kein andres neugebornes Kind war, fanden sie das
der Maria, welches sie jedoch seines armseligen Zustandes
wegen nicht für das messianische erkannten, sondern, nach-
dem sie ihm aus Mitleid Einiges von ihren Schätzen ge-
schenkt, auf einem andern Wege zurückreisten, indem sie
es nicht für der Mühe werth hielten, dem Herodes von
ihrem vergeblichen Gange Rapport zu erstatten. Weil nun
aber der Sohn der Maria sich später als Messias auswies,
so drehte sich die Erzählung: der Stern muſste ihnen
den Weg zu ihm gezeigt haben, sie selbst huldigend vor
dem Kinde niedergefallen sein, und ein Engel sie gewarnt
11) In Henke's Magazin 5, 1, 171 ff. Auf etwas Ähnliches läuft
auch die Ansicht von Matthaei, Religionsgl. der Apostel, 2,
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