sezt die in der Einleitung besprochene Ubiquität jener Per- sonen voraus, welche doch unmöglich an allen den Orten berichtigend zugegen sein konnten, wo eine Neigung zu christlicher Sagenbildung sich regte.
Die Notiz von der Beschneidung Jesu Luc. 2, 21. rührt offenbar von einem solchen her, welcher, ohne von dieser Scene wirkliche Nachricht zu haben, nur in Gemässheit der jüdischen Sitte für gewiss annahm, dass dieselbe am achten Tage nach der Geburt in gewöhnlicher Weise statt- gefunden. Dabei ist der Contrast auffallend zwischen der ausführlichen Benützung und Ausmalung desselben Punk- tes im Leben des Johannes (1, 59. ff.) und der Trocken- heit und Kürze, mit welcher derselbe hier in Bezug auf Jesum behandelt ist, worin man mit Schleiermacher33) ein Zeichen finden kann, dass wenigstens hier der Verfas- ser von Kap. 1. nicht mehr der Concipient ist. Bei diesem Stand der Sache erfahren auch wir für unsern Zweck aus dieser Angabe nichts, als was wir schon wissen konnten, nur noch nicht ausdrücklich zu bemerken Gelegenheit hat- ten, dass nämlich die angebliche Bestimmung des Namens Jesu schon vor seiner Geburt auch nur zu der mythischen Einkleidung der Erzählung gehöre. Wenn nämlich in un- serem Verse darauf Gewicht gelegt wird, der Name Jesus sei klethen upo tou aggelou pro tou sullephthenai auton en te koilia: so erinnert dieses Bestreben, die Präexistenz des Namens des Messias wenigstens vor seiner irdischen Erscheinung zu be- haupten, an die jüdische Meinung, nach welcher dieser Name sogar vor der Welt schon präexistirt hat 34); wie- wohl selbst ohne Beziehung darauf es z. B. auch bei dem
33) a. a. O. S. 27 f.
34) Bereschith rabba, sect. 1, fol. 3, 3 (bei Schöttgen, horae, 2, S. 436.): Sex res praevenerunt creationem mundi: quaedam ex illis creatae sunt, nempe lex et thronus gloriae; aliae ascenderunt in cogitationem (Dei) ut crearentur, nimirum Patriarchae, Israel, templum, et nomen Messiae.
Viertes Kapitel. §. 29.
sezt die in der Einleitung besprochene Ubiquität jener Per- sonen voraus, welche doch unmöglich an allen den Orten berichtigend zugegen sein konnten, wo eine Neigung zu christlicher Sagenbildung sich regte.
Die Notiz von der Beschneidung Jesu Luc. 2, 21. rührt offenbar von einem solchen her, welcher, ohne von dieser Scene wirkliche Nachricht zu haben, nur in Gemäſsheit der jüdischen Sitte für gewiſs annahm, daſs dieselbe am achten Tage nach der Geburt in gewöhnlicher Weise statt- gefunden. Dabei ist der Contrast auffallend zwischen der ausführlichen Benützung und Ausmalung desselben Punk- tes im Leben des Johannes (1, 59. ff.) und der Trocken- heit und Kürze, mit welcher derselbe hier in Bezug auf Jesum behandelt ist, worin man mit Schleiermacher33) ein Zeichen finden kann, daſs wenigstens hier der Verfas- ser von Kap. 1. nicht mehr der Concipient ist. Bei diesem Stand der Sache erfahren auch wir für unsern Zweck aus dieser Angabe nichts, als was wir schon wissen konnten, nur noch nicht ausdrücklich zu bemerken Gelegenheit hat- ten, daſs nämlich die angebliche Bestimmung des Namens Jesu schon vor seiner Geburt auch nur zu der mythischen Einkleidung der Erzählung gehöre. Wenn nämlich in un- serem Verse darauf Gewicht gelegt wird, der Name Jesus sei κληϑὲν ὑπὸ τοῦ ἀγγέλου πρὸ τοῦ συλληφϑῆναι ἀυτὸν ἐν τῇ κοιλίᾳ: so erinnert dieses Bestreben, die Präexistenz des Namens des Messias wenigstens vor seiner irdischen Erscheinung zu be- haupten, an die jüdische Meinung, nach welcher dieser Name sogar vor der Welt schon präexistirt hat 34); wie- wohl selbst ohne Beziehung darauf es z. B. auch bei dem
33) a. a. O. S. 27 f.
34) Bereschith rabba, sect. 1, fol. 3, 3 (bei Schöttgen, horae, 2, S. 436.): Sex res praevenerunt creationem mundi: quaedam ex illis creatae sunt, nempe lex et thronus gloriae; aliae ascenderunt in cogitationem (Dei) ut crearentur, nimirum Patriarchae, Israël, templum, et nomen Messiae.
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Viertes Kapitel. §. 29.
sezt die in der Einleitung besprochene Ubiquität jener Per-
sonen voraus, welche doch unmöglich an allen den Orten
berichtigend zugegen sein konnten, wo eine Neigung zu
christlicher Sagenbildung sich regte.
Die Notiz von der Beschneidung Jesu Luc. 2, 21. rührt
offenbar von einem solchen her, welcher, ohne von dieser
Scene wirkliche Nachricht zu haben, nur in Gemäſsheit
der jüdischen Sitte für gewiſs annahm, daſs dieselbe am
achten Tage nach der Geburt in gewöhnlicher Weise statt-
gefunden. Dabei ist der Contrast auffallend zwischen der
ausführlichen Benützung und Ausmalung desselben Punk-
tes im Leben des Johannes (1, 59. ff.) und der Trocken-
heit und Kürze, mit welcher derselbe hier in Bezug auf
Jesum behandelt ist, worin man mit Schleiermacher 33)
ein Zeichen finden kann, daſs wenigstens hier der Verfas-
ser von Kap. 1. nicht mehr der Concipient ist. Bei diesem
Stand der Sache erfahren auch wir für unsern Zweck aus
dieser Angabe nichts, als was wir schon wissen konnten,
nur noch nicht ausdrücklich zu bemerken Gelegenheit hat-
ten, daſs nämlich die angebliche Bestimmung des Namens
Jesu schon vor seiner Geburt auch nur zu der mythischen
Einkleidung der Erzählung gehöre. Wenn nämlich in un-
serem Verse darauf Gewicht gelegt wird, der Name Jesus sei
κληϑὲν ὑπὸ τοῦ ἀγγέλου πρὸ τοῦ συλληφϑῆναι ἀυτὸν ἐν τῇ κοιλίᾳ:
so erinnert dieses Bestreben, die Präexistenz des Namens des
Messias wenigstens vor seiner irdischen Erscheinung zu be-
haupten, an die jüdische Meinung, nach welcher dieser
Name sogar vor der Welt schon präexistirt hat 34); wie-
wohl selbst ohne Beziehung darauf es z. B. auch bei dem
33) a. a. O. S. 27 f.
34) Bereschith rabba, sect. 1, fol. 3, 3 (bei Schöttgen, horae, 2,
S. 436.): Sex res praevenerunt creationem mundi: quaedam
ex illis creatae sunt, nempe lex et thronus gloriae; aliae
ascenderunt in cogitationem (Dei) ut crearentur, nimirum
Patriarchae, Israël, templum, et nomen Messiae.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/243>, abgerufen am 22.11.2024.
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