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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Vorrede.
bewusst, dass viele Andere ein solches Werk un-
gleich gelehrter auszustatten im Stande gewesen wä-
ren, als er. Doch glaubt er andrerseits wenigstens
Eine Eigenschaft zu besitzen, welche ihn zur Über-
nahme dieses Geschäftes vor Andern befähigte. Den
gelehrtesten und scharfsinnigsten Theologen fehlt in
unsrer Zeit meistens noch das Grunderforderniss ei-
ner solchen Arbeit, ohne welches mit aller Gelehr-
samkeit auf kritischem Gebiete nichts auszurichten
ist: die innere Befreiung des Gemüths und Denkens
von gewissen religiösen und dogmatischen Voraus-
setzungen, und diese ist dem Verfasser durch philo-
sophische Studien frühe zu Theil geworden. Mögen
die Theologen diese Voraussetzungslosigkeit seines
Werkes unchristlich finden: er findet die gläubigen
Voraussetzungen der ihrigen unwissenschaftlich. So
sehr in dieser Hinsicht der Ton dieser Arbeit gegen
den andächtig-erbaulichen oder mystisch-begeister-
ten neuerer Bücher über ähnliche Gegenstände ab-
sticht, so wird man doch nirgends den Ernst der
Wissenschaft vermissen, oder Frivolität finden kön-
[n]en: dass ebenso die Beurtheilungen im wissenschaft-

Vorrede.
bewusst, dass viele Andere ein solches Werk un-
gleich gelehrter auszustatten im Stande gewesen wä-
ren, als er. Doch glaubt er andrerseits wenigstens
Eine Eigenschaft zu besitzen, welche ihn zur Über-
nahme dieses Geschäftes vor Andern befähigte. Den
gelehrtesten und scharfsinnigsten Theologen fehlt in
unsrer Zeit meistens noch das Grunderforderniss ei-
ner solchen Arbeit, ohne welches mit aller Gelehr-
samkeit auf kritischem Gebiete nichts auszurichten
ist: die innere Befreiung des Gemüths und Denkens
von gewissen religiösen und dogmatischen Voraus-
setzungen, und diese ist dem Verfasser durch philo-
sophische Studien frühe zu Theil geworden. Mögen
die Theologen diese Voraussetzungslosigkeit seines
Werkes unchristlich finden: er findet die gläubigen
Voraussetzungen der ihrigen unwissenschaftlich. So
sehr in dieser Hinsicht der Ton dieser Arbeit gegen
den andächtig-erbaulichen oder mystisch-begeister-
ten neuerer Bücher über ähnliche Gegenstände ab-
sticht, so wird man doch nirgends den Ernst der
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[VI/0014] Vorrede. bewusst, dass viele Andere ein solches Werk un- gleich gelehrter auszustatten im Stande gewesen wä- ren, als er. Doch glaubt er andrerseits wenigstens Eine Eigenschaft zu besitzen, welche ihn zur Über- nahme dieses Geschäftes vor Andern befähigte. Den gelehrtesten und scharfsinnigsten Theologen fehlt in unsrer Zeit meistens noch das Grunderforderniss ei- ner solchen Arbeit, ohne welches mit aller Gelehr- samkeit auf kritischem Gebiete nichts auszurichten ist: die innere Befreiung des Gemüths und Denkens von gewissen religiösen und dogmatischen Voraus- setzungen, und diese ist dem Verfasser durch philo- sophische Studien frühe zu Theil geworden. Mögen die Theologen diese Voraussetzungslosigkeit seines Werkes unchristlich finden: er findet die gläubigen Voraussetzungen der ihrigen unwissenschaftlich. So sehr in dieser Hinsicht der Ton dieser Arbeit gegen den andächtig-erbaulichen oder mystisch-begeister- ten neuerer Bücher über ähnliche Gegenstände ab- sticht, so wird man doch nirgends den Ernst der Wissenschaft vermissen, oder Frivolität finden kön- nen: dass ebenso die Beurtheilungen im wissenschaft-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/14>, abgerufen am 20.04.2024.