Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Kapitel. §. 13.
der Engel selbst zu erkennen als Gabriel, o paresekos
enopion tou theou (1, 19.), und hier findet man es nun undenk-
bar, dass der göttliche Geisterstaat wirklich gerade so be-
schaffen sein sollte, wie sich die nachexilischen Juden den-
selben dachten, und dass sogar die Namen der Engel in
der Sprache dieses Volkes gegeben sein sollten 2). Selbst
der Supranaturalist auf seinem Boden kommt hier in eini-
ges Gedränge. Wären nämlich Namen und Rangordnung
der Engel, wie sie hier vorausgesetzt werden, ursprüng-
lich auf dem Boden der geoffenbarten hebräischen Religion
erwachsen, hätte Moses oder einer der älteren Propheten
dieselben festgesetzt: so könnten und müssten sie auf su-
pranaturalistischem Standpunkt als richtig angenommen
werden. Nun aber finden sich jene näheren Bestimmungen
der Engellehre erst in dem makkabäischen Daniel 3) und
dem Apokryphum Tobia 4), offenbar in Folge des Einflus-
ses der Zendreligion, wie denn die Juden selbst bezeugen,
dass die Engelnamen ihnen aus Babylon gekommen seien 5).
Hieraus ergiebt sich eine Reihe für den Supranaturalisten

2) Paulus, exeget. Handbuch 1, a, S. 78 f. 96. Baukr, hebr. My-
thol. 2. Bd. S. 218 f.
3) Hier Michael als ahad hash'ariym harishoniym bezeichnet 10, 13.
Gabriel 8, 16. 9, 21.
4) Hier Raphael als eis ek ton epta agion aggelon, oi -- eis-
poreuontai enopion tes doxes tou agiou (12, 15), fast wie
Gabriel bei Lukas, die Zahlbestimmung ausgenommen. Diese
ist der Zahl der persischen Amschaspands nachgebildet, vgl.
de Wette, biblische Dogmatik §. 171 b).
5) Hieros. rosch haschanah f. 56, 4. (bei Lightfoot, horae hebr. et
talmud. in IV Evangg., p. 723.): R. Simeon ben Lachisch di-
cit: nomina angelorum ascenderunt in manu Israelis ex Baby-
lone. Nam antea dictum est: advolavit ad me unus ton
Seraphim, Seraphim steterunt ante cum, Jes. 6; at post: vir
Gabriel, Dan. 9, 21, Michael princeps vester, Dan. 10, 21.
Das Leben Jesu I. Band. 6

Erstes Kapitel. §. 13.
der Engel selbst zu erkennen als Γαβριὴλ, ὁ παρεςηκως
ἐνώπιον τοῦ ϑεοῦ (1, 19.), und hier findet man es nun undenk-
bar, daſs der göttliche Geisterstaat wirklich gerade so be-
schaffen sein sollte, wie sich die nachexilischen Juden den-
selben dachten, und daſs sogar die Namen der Engel in
der Sprache dieses Volkes gegeben sein sollten 2). Selbst
der Supranaturalist auf seinem Boden kommt hier in eini-
ges Gedränge. Wären nämlich Namen und Rangordnung
der Engel, wie sie hier vorausgesetzt werden, ursprüng-
lich auf dem Boden der geoffenbarten hebräischen Religion
erwachsen, hätte Moses oder einer der älteren Propheten
dieselben festgesetzt: so könnten und müſsten sie auf su-
pranaturalistischem Standpunkt als richtig angenommen
werden. Nun aber finden sich jene näheren Bestimmungen
der Engellehre erst in dem makkabäischen Daniel 3) und
dem Apokryphum Tobia 4), offenbar in Folge des Einflus-
ses der Zendreligion, wie denn die Juden selbst bezeugen,
daſs die Engelnamen ihnen aus Babylon gekommen seien 5).
Hieraus ergiebt sich eine Reihe für den Supranaturalisten

2) Paulus, exeget. Handbuch 1, a, S. 78 f. 96. Baukr, hebr. My-
thol. 2. Bd. S. 218 f.
3) Hier Michaël als אַהַד הַשָּׂרִים הָרִאשֹׁנִים bezeichnet 10, 13.
Gabriel 8, 16. 9, 21.
4) Hier Raphaël als είς ἐκ των ἑπτὰ ἁγίων ἀγγέλων, οἳ — εἰς-
πορεύονται ἐνώπιον τῆς δόξης τοῦ ἁγίου (12, 15), fast wie
Gabriel bei Lukas, die Zahlbestimmung ausgenommen. Diese
ist der Zahl der persischen Amschaspands nachgebildet, vgl.
de Wette, biblische Dogmatik §. 171 b).
5) Hieros. rosch haschanah f. 56, 4. (bei Lightfoot, horae hebr. et
talmud. in IV Evangg., p. 723.): R. Simeon ben Lachisch di-
cit: nomina angelorum ascenderunt in manu Israëlis ex Baby-
lone. Nam antea dictum est: advolavit ad me unus τῶν
Seraphim, Seraphim steterunt ante cum, Jes. 6; at post: vir
Gabriel, Dan. 9, 21, Michaël princeps vester, Dan. 10, 21.
Das Leben Jesu I. Band. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0105" n="81"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erstes Kapitel</hi>. §. 13.</fw><lb/>
der Engel selbst zu erkennen als <foreign xml:lang="ell">&#x0393;&#x03B1;&#x03B2;&#x03C1;&#x03B9;&#x1F74;&#x03BB;, &#x1F41; &#x03C0;&#x03B1;&#x03C1;&#x03B5;&#x03C2;&#x03B7;&#x03BA;&#x03C9;&#x03C2;<lb/>
&#x1F10;&#x03BD;&#x03CE;&#x03C0;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6; &#x03D1;&#x03B5;&#x03BF;&#x1FE6;</foreign> (1, 19.), und hier findet man es nun undenk-<lb/>
bar, da&#x017F;s der göttliche Geisterstaat wirklich gerade so be-<lb/>
schaffen sein sollte, wie sich die nachexilischen Juden den-<lb/>
selben dachten, und da&#x017F;s sogar die Namen der Engel in<lb/>
der Sprache dieses Volkes gegeben sein sollten <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#k">Paulus</hi>, exeget. Handbuch 1, a, S. 78 f. 96. <hi rendition="#k">Baukr</hi>, hebr. My-<lb/>
thol. 2. Bd. S. 218 f.</note>. Selbst<lb/>
der Supranaturalist auf seinem Boden kommt hier in eini-<lb/>
ges Gedränge. Wären nämlich Namen und Rangordnung<lb/>
der Engel, wie sie hier vorausgesetzt werden, ursprüng-<lb/>
lich auf dem Boden der geoffenbarten hebräischen Religion<lb/>
erwachsen, hätte Moses oder einer der älteren Propheten<lb/>
dieselben festgesetzt: so könnten und mü&#x017F;sten sie auf su-<lb/>
pranaturalistischem Standpunkt als richtig angenommen<lb/>
werden. Nun aber finden sich jene näheren Bestimmungen<lb/>
der Engellehre erst in dem makkabäischen Daniel <note place="foot" n="3)">Hier Michaël als <foreign xml:lang="heb">&#x05D0;&#x05B7;&#x05D4;&#x05B7;&#x05D3; &#x05D4;&#x05B7;&#x05E9;&#x05BC;&#x05C2;&#x05B8;&#x05E8;&#x05B4;&#x05D9;&#x05DD; &#x05D4;&#x05B8;&#x05E8;&#x05B4;&#x05D0;&#x05E9;&#x05C1;&#x05B9;&#x05E0;&#x05B4;&#x05D9;&#x05DD;</foreign> bezeichnet 10, 13.<lb/>
Gabriel 8, 16. 9, 21.</note> und<lb/>
dem Apokryphum Tobia <note place="foot" n="4)">Hier Raphaël als <foreign xml:lang="ell">&#x03B5;&#x03AF;&#x03C2; &#x1F10;&#x03BA; &#x03C4;&#x03C9;&#x03BD; &#x1F11;&#x03C0;&#x03C4;&#x1F70; &#x1F01;&#x03B3;&#x03AF;&#x03C9;&#x03BD; &#x1F00;&#x03B3;&#x03B3;&#x03AD;&#x03BB;&#x03C9;&#x03BD;, &#x03BF;&#x1F33; &#x2014; &#x03B5;&#x1F30;&#x03C2;-<lb/>
&#x03C0;&#x03BF;&#x03C1;&#x03B5;&#x03CD;&#x03BF;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B1;&#x03B9; &#x1F10;&#x03BD;&#x03CE;&#x03C0;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD; &#x03C4;&#x1FC6;&#x03C2; &#x03B4;&#x03CC;&#x03BE;&#x03B7;&#x03C2; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6; &#x1F01;&#x03B3;&#x03AF;&#x03BF;&#x03C5;</foreign> (12, 15), fast wie<lb/>
Gabriel bei Lukas, die Zahlbestimmung ausgenommen. Diese<lb/>
ist der Zahl der persischen Amschaspands nachgebildet, vgl.<lb/><hi rendition="#k">de Wette</hi>, biblische Dogmatik §. 171 b).</note>, offenbar in Folge des Einflus-<lb/>
ses der Zendreligion, wie denn die Juden selbst bezeugen,<lb/>
da&#x017F;s die Engelnamen ihnen aus Babylon gekommen seien <note place="foot" n="5)">Hieros. rosch haschanah f. 56, 4. (bei <hi rendition="#k">Lightfoot</hi>, horae hebr. et<lb/>
talmud. in IV Evangg., p. 723.): <quote xml:lang="lat">R. Simeon ben Lachisch di-<lb/>
cit: nomina angelorum ascenderunt in manu Israëlis ex Baby-<lb/>
lone. Nam antea dictum est: advolavit ad me unus <foreign xml:lang="ell">&#x03C4;&#x1FF6;&#x03BD;</foreign><lb/>
Seraphim, Seraphim steterunt ante cum, Jes. 6; at post: vir<lb/>
Gabriel, Dan. 9, 21, Michaël princeps vester, Dan. 10, 21.</quote></note>.<lb/>
Hieraus ergiebt sich eine Reihe für den Supranaturalisten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i">Das Leben Jesu I. Band.</hi> 6</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0105] Erstes Kapitel. §. 13. der Engel selbst zu erkennen als Γαβριὴλ, ὁ παρεςηκως ἐνώπιον τοῦ ϑεοῦ (1, 19.), und hier findet man es nun undenk- bar, daſs der göttliche Geisterstaat wirklich gerade so be- schaffen sein sollte, wie sich die nachexilischen Juden den- selben dachten, und daſs sogar die Namen der Engel in der Sprache dieses Volkes gegeben sein sollten 2). Selbst der Supranaturalist auf seinem Boden kommt hier in eini- ges Gedränge. Wären nämlich Namen und Rangordnung der Engel, wie sie hier vorausgesetzt werden, ursprüng- lich auf dem Boden der geoffenbarten hebräischen Religion erwachsen, hätte Moses oder einer der älteren Propheten dieselben festgesetzt: so könnten und müſsten sie auf su- pranaturalistischem Standpunkt als richtig angenommen werden. Nun aber finden sich jene näheren Bestimmungen der Engellehre erst in dem makkabäischen Daniel 3) und dem Apokryphum Tobia 4), offenbar in Folge des Einflus- ses der Zendreligion, wie denn die Juden selbst bezeugen, daſs die Engelnamen ihnen aus Babylon gekommen seien 5). Hieraus ergiebt sich eine Reihe für den Supranaturalisten 2) Paulus, exeget. Handbuch 1, a, S. 78 f. 96. Baukr, hebr. My- thol. 2. Bd. S. 218 f. 3) Hier Michaël als אַהַד הַשָּׂרִים הָרִאשֹׁנִים bezeichnet 10, 13. Gabriel 8, 16. 9, 21. 4) Hier Raphaël als είς ἐκ των ἑπτὰ ἁγίων ἀγγέλων, οἳ — εἰς- πορεύονται ἐνώπιον τῆς δόξης τοῦ ἁγίου (12, 15), fast wie Gabriel bei Lukas, die Zahlbestimmung ausgenommen. Diese ist der Zahl der persischen Amschaspands nachgebildet, vgl. de Wette, biblische Dogmatik §. 171 b). 5) Hieros. rosch haschanah f. 56, 4. (bei Lightfoot, horae hebr. et talmud. in IV Evangg., p. 723.): R. Simeon ben Lachisch di- cit: nomina angelorum ascenderunt in manu Israëlis ex Baby- lone. Nam antea dictum est: advolavit ad me unus τῶν Seraphim, Seraphim steterunt ante cum, Jes. 6; at post: vir Gabriel, Dan. 9, 21, Michaël princeps vester, Dan. 10, 21. Das Leben Jesu I. Band. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/105
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/105>, abgerufen am 03.05.2024.