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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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von dort ihre Augen über den Deich hinaus nach dem
Meer zu haben, wo an dem stillen Abend die Sonne
eben in das Wasser hinabsank und zugleich das bräun-
liche Mädchen mit ihrem letzten Schein vergoldete.

Hauke stieg etwas langsamer an der Werfte
hinan und dachte bei sich: "So ist sie nicht so
dösig!" dann war er oben. "Guten Abend auch!"
sagte er zu ihr tretend; "wonach guckst Du denn
mit Deinen großen Augen, Jungfer Elke?"

"Nach dem," erwiderte sie, "was hier alle
Abend vor sich geht; aber hier nicht alle Abend
just zu sehen ist." Sie ließ den Ring aus der
Hand fallen, daß er klingend gegen die Mauer
schlug. "Was willst Du, Hauke Haien?" frug sie.

"Was Dir hoffentlich nicht zuwider ist", sagte
er. "Dein Vater hat seinen Kleinknecht fortge-
jagt, da dachte ich bei Euch in Dienst."

Sie ließ ihre Blicke an ihm herunterlaufen:
"Du bist noch so was schlanterig, Hauke!" sagte
sie; "aber uns dienen zwei feste Augen besser als
zwei feste Arme!" Sie sah ihn dabei fast düster
an; aber Hauke hielt ihr tapfer Stand. "So
komm," fuhr sie fort; "der Wirth ist in der
Stube, laß uns hineingehen!"


von dort ihre Augen über den Deich hinaus nach dem
Meer zu haben, wo an dem ſtillen Abend die Sonne
eben in das Waſſer hinabſank und zugleich das bräun-
liche Mädchen mit ihrem letzten Schein vergoldete.

Hauke ſtieg etwas langſamer an der Werfte
hinan und dachte bei ſich: „So iſt ſie nicht ſo
döſig!” dann war er oben. „Guten Abend auch!”
ſagte er zu ihr tretend; „wonach guckſt Du denn
mit Deinen großen Augen, Jungfer Elke?”

„Nach dem,” erwiderte ſie, „was hier alle
Abend vor ſich geht; aber hier nicht alle Abend
juſt zu ſehen iſt.” Sie ließ den Ring aus der
Hand fallen, daß er klingend gegen die Mauer
ſchlug. „Was willſt Du, Hauke Haien?” frug ſie.

„Was Dir hoffentlich nicht zuwider iſt”, ſagte
er. „Dein Vater hat ſeinen Kleinknecht fortge-
jagt, da dachte ich bei Euch in Dienſt.”

Sie ließ ihre Blicke an ihm herunterlaufen:
„Du biſt noch ſo was ſchlanterig, Hauke!” ſagte
ſie; „aber uns dienen zwei feſte Augen beſſer als
zwei feſte Arme!” Sie ſah ihn dabei faſt düſter
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[36/0048] von dort ihre Augen über den Deich hinaus nach dem Meer zu haben, wo an dem ſtillen Abend die Sonne eben in das Waſſer hinabſank und zugleich das bräun- liche Mädchen mit ihrem letzten Schein vergoldete. Hauke ſtieg etwas langſamer an der Werfte hinan und dachte bei ſich: „So iſt ſie nicht ſo döſig!” dann war er oben. „Guten Abend auch!” ſagte er zu ihr tretend; „wonach guckſt Du denn mit Deinen großen Augen, Jungfer Elke?” „Nach dem,” erwiderte ſie, „was hier alle Abend vor ſich geht; aber hier nicht alle Abend juſt zu ſehen iſt.” Sie ließ den Ring aus der Hand fallen, daß er klingend gegen die Mauer ſchlug. „Was willſt Du, Hauke Haien?” frug ſie. „Was Dir hoffentlich nicht zuwider iſt”, ſagte er. „Dein Vater hat ſeinen Kleinknecht fortge- jagt, da dachte ich bei Euch in Dienſt.” Sie ließ ihre Blicke an ihm herunterlaufen: „Du biſt noch ſo was ſchlanterig, Hauke!” ſagte ſie; „aber uns dienen zwei feſte Augen beſſer als zwei feſte Arme!” Sie ſah ihn dabei faſt düſter an; aber Hauke hielt ihr tapfer Stand. „So komm,” fuhr ſie fort; „der Wirth iſt in der Stube, laß uns hineingehen!”

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/48>, abgerufen am 29.03.2024.