Stiefeln an und machte sich guten Muthes auf den Weg.
-- Das langgestreckte Haus des Deichgrafen war durch seine hohe Werfte, besonders durch den höchsten Baum des Dorfes, eine gewaltige Esche, schon von Weitem sichtbar; der Großvater des jetzigen, der erste Deichgraf des Geschlechtes, hatte in seiner Jugend eine solche osten der Hausthür hier gesetzt; aber die beiden ersten Anpflanzungen waren vergangen, und so hatte er an seinem Hochzeitsmorgen diesen dritten Baum gepflanzt, der noch jetzt mit seiner immer mächtiger werdenden Blätterkrone in dem hier unablässigen Winde wie von alten Zeiten rauschte.
Als nach einer Weile der lang aufgeschossene Hauke die hohe Werfte hinaufstieg, welche an den Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, sah er droben die Tochter des Hauswirths neben der niedrigen Hausthür stehen. Ihr einer etwas hagerer Arm hing schlaff herab, die andere Hand schien im Rücken nach dem Eisenring zu greifen, von denen je einer zu beiden Seiten der Thür in der Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, sein Pferd daran befestigen könne. Die Dirne schien
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Stiefeln an und machte ſich guten Muthes auf den Weg.
— Das langgeſtreckte Haus des Deichgrafen war durch ſeine hohe Werfte, beſonders durch den höchſten Baum des Dorfes, eine gewaltige Eſche, ſchon von Weitem ſichtbar; der Großvater des jetzigen, der erſte Deichgraf des Geſchlechtes, hatte in ſeiner Jugend eine ſolche oſten der Hausthür hier geſetzt; aber die beiden erſten Anpflanzungen waren vergangen, und ſo hatte er an ſeinem Hochzeitsmorgen dieſen dritten Baum gepflanzt, der noch jetzt mit ſeiner immer mächtiger werdenden Blätterkrone in dem hier unabläſſigen Winde wie von alten Zeiten rauſchte.
Als nach einer Weile der lang aufgeſchoſſene Hauke die hohe Werfte hinaufſtieg, welche an den Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, ſah er droben die Tochter des Hauswirths neben der niedrigen Hausthür ſtehen. Ihr einer etwas hagerer Arm hing ſchlaff herab, die andere Hand ſchien im Rücken nach dem Eiſenring zu greifen, von denen je einer zu beiden Seiten der Thür in der Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, ſein Pferd daran befeſtigen könne. Die Dirne ſchien
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Stiefeln an und machte ſich guten Muthes auf
den Weg.
— Das langgeſtreckte Haus des Deichgrafen
war durch ſeine hohe Werfte, beſonders durch den
höchſten Baum des Dorfes, eine gewaltige Eſche,
ſchon von Weitem ſichtbar; der Großvater des
jetzigen, der erſte Deichgraf des Geſchlechtes, hatte
in ſeiner Jugend eine ſolche oſten der Hausthür
hier geſetzt; aber die beiden erſten Anpflanzungen
waren vergangen, und ſo hatte er an ſeinem
Hochzeitsmorgen dieſen dritten Baum gepflanzt,
der noch jetzt mit ſeiner immer mächtiger werdenden
Blätterkrone in dem hier unabläſſigen Winde wie
von alten Zeiten rauſchte.
Als nach einer Weile der lang aufgeſchoſſene
Hauke die hohe Werfte hinaufſtieg, welche an den
Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, ſah
er droben die Tochter des Hauswirths neben der
niedrigen Hausthür ſtehen. Ihr einer etwas hagerer
Arm hing ſchlaff herab, die andere Hand ſchien
im Rücken nach dem Eiſenring zu greifen, von
denen je einer zu beiden Seiten der Thür in der
Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, ſein
Pferd daran befeſtigen könne. Die Dirne ſchien
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/47>, abgerufen am 23.07.2024.
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