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Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

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hatte. Dann gab er die Blätter an Elisabeth, die
sie in einem Schubfach ihrer Schatulle sorgfältig
aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmuthige
Befriedigung, wenn er sie mitunter Abends diese
Geschichten in seiner Gegenwart aus den von ihm
geschriebenen Heften ihrer Mutter vorlesen hörte.

Sieben Jahre waren vorüber. Reinhardt sollte
zu seiner weiteren Ausbildung die Stadt verlassen.
Elisabeth konnte sich nicht in den Gedanken finden,
daß es nun eine Zeit ganz ohne Reinhardt geben
werde. Es freute sie, als er ihr eines Tages sagte,
er werde, wie sonst, Märchen für sie aufschreiben; er
wolle sie ihr mit den Briefen an seine Mutter schicken;
sie müsse ihm dann wieder schreiben, wie sie ihr gefallen
hätten. Die Abreise rückte heran; vorher aber kam
noch mancher Reim in den Pergamentband. Das
allein war für Elisabeth ein Geheimniß, obgleich sie
die Veranlassung zu dem ganzen Buche und zu den
meisten Liedern war, welche nach und nach fast die
Hälfte der weißen Blätter gefüllt hatten.

Es war im Juni; Reinhardt sollte am anderen
Tage reisen. Nun wollte man noch einmal einen
festlichen Tag zusammen begehen. Dazu wurde eine

hatte. Dann gab er die Blätter an Eliſabeth, die
ſie in einem Schubfach ihrer Schatulle ſorgfältig
aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmuthige
Befriedigung, wenn er ſie mitunter Abends dieſe
Geſchichten in ſeiner Gegenwart aus den von ihm
geſchriebenen Heften ihrer Mutter vorleſen hörte.

Sieben Jahre waren vorüber. Reinhardt ſollte
zu ſeiner weiteren Ausbildung die Stadt verlaſſen.
Eliſabeth konnte ſich nicht in den Gedanken finden,
daß es nun eine Zeit ganz ohne Reinhardt geben
werde. Es freute ſie, als er ihr eines Tages ſagte,
er werde, wie ſonſt, Märchen für ſie aufſchreiben; er
wolle ſie ihr mit den Briefen an ſeine Mutter ſchicken;
ſie müſſe ihm dann wieder ſchreiben, wie ſie ihr gefallen
hätten. Die Abreiſe rückte heran; vorher aber kam
noch mancher Reim in den Pergamentband. Das
allein war für Eliſabeth ein Geheimniß, obgleich ſie
die Veranlaſſung zu dem ganzen Buche und zu den
meiſten Liedern war, welche nach und nach faſt die
Hälfte der weißen Blätter gefüllt hatten.

Es war im Juni; Reinhardt ſollte am anderen
Tage reiſen. Nun wollte man noch einmal einen
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[13/0019] hatte. Dann gab er die Blätter an Eliſabeth, die ſie in einem Schubfach ihrer Schatulle ſorgfältig aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmuthige Befriedigung, wenn er ſie mitunter Abends dieſe Geſchichten in ſeiner Gegenwart aus den von ihm geſchriebenen Heften ihrer Mutter vorleſen hörte. Sieben Jahre waren vorüber. Reinhardt ſollte zu ſeiner weiteren Ausbildung die Stadt verlaſſen. Eliſabeth konnte ſich nicht in den Gedanken finden, daß es nun eine Zeit ganz ohne Reinhardt geben werde. Es freute ſie, als er ihr eines Tages ſagte, er werde, wie ſonſt, Märchen für ſie aufſchreiben; er wolle ſie ihr mit den Briefen an ſeine Mutter ſchicken; ſie müſſe ihm dann wieder ſchreiben, wie ſie ihr gefallen hätten. Die Abreiſe rückte heran; vorher aber kam noch mancher Reim in den Pergamentband. Das allein war für Eliſabeth ein Geheimniß, obgleich ſie die Veranlaſſung zu dem ganzen Buche und zu den meiſten Liedern war, welche nach und nach faſt die Hälfte der weißen Blätter gefüllt hatten. Es war im Juni; Reinhardt ſollte am anderen Tage reiſen. Nun wollte man noch einmal einen feſtlichen Tag zuſammen begehen. Dazu wurde eine

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/19>, abgerufen am 24.11.2024.