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Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

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lenken. Es wurde nicht bemerkt. Aber Reinhardt ver¬
lor alle Aufmerksamkeit an den geographischen Vor¬
trägen; statt dessen verfaßte er ein langes Gedicht;
darin verglich er sich selbst mit einem jungen Adler,
den Schulmeister mit einer grauen Krähe, Elisabeth
war die weiße Taube; der Adler gelobte, an der grauen
Krähe Rache zu nehmen, sobald ihm die Flügel ge¬
wachsen sein würden. Dem jungen Dichter standen
die Thränen in den Augen; er kam sich sehr erhaben
vor. Als er nach Hause gekommen war, wußte er sich
einen kleinen Pergamentband mit vielen weißen Blät¬
tern zu verschaffen; auf die ersten Seiten schrieb er
mit sorgsamer Hand sein erstes Gedicht. -- Bald
darauf kam er in eine andere Schule; hier schloß er
manche neue Kameradschaft mit Knaben seines Al¬
ters; aber sein Verkehr mit Elisabeth wurde dadurch
nicht gestört. Von den Märchen, welche er ihr sonst
erzählt und wieder erzählt hatte, fing er jetzt an, die,
welche ihr am besten gefallen hatten, aufzuschreiben;
dabei wandelte ihn oft die Lust an, etwas von seinen
eigenen Gedanken hineinzudichten; aber, er wußte
nicht weshalb, er konnte immer nicht dazu gelangen.
So schrieb er sie genau auf, wie er sie selber gehört

lenken. Es wurde nicht bemerkt. Aber Reinhardt ver¬
lor alle Aufmerkſamkeit an den geographiſchen Vor¬
trägen; ſtatt deſſen verfaßte er ein langes Gedicht;
darin verglich er ſich ſelbſt mit einem jungen Adler,
den Schulmeiſter mit einer grauen Krähe, Eliſabeth
war die weiße Taube; der Adler gelobte, an der grauen
Krähe Rache zu nehmen, ſobald ihm die Flügel ge¬
wachſen ſein würden. Dem jungen Dichter ſtanden
die Thränen in den Augen; er kam ſich ſehr erhaben
vor. Als er nach Hauſe gekommen war, wußte er ſich
einen kleinen Pergamentband mit vielen weißen Blät¬
tern zu verſchaffen; auf die erſten Seiten ſchrieb er
mit ſorgſamer Hand ſein erſtes Gedicht. — Bald
darauf kam er in eine andere Schule; hier ſchloß er
manche neue Kameradſchaft mit Knaben ſeines Al¬
ters; aber ſein Verkehr mit Eliſabeth wurde dadurch
nicht geſtört. Von den Märchen, welche er ihr ſonſt
erzählt und wieder erzählt hatte, fing er jetzt an, die,
welche ihr am beſten gefallen hatten, aufzuſchreiben;
dabei wandelte ihn oft die Luſt an, etwas von ſeinen
eigenen Gedanken hineinzudichten; aber, er wußte
nicht weshalb, er konnte immer nicht dazu gelangen.
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[12/0018] lenken. Es wurde nicht bemerkt. Aber Reinhardt ver¬ lor alle Aufmerkſamkeit an den geographiſchen Vor¬ trägen; ſtatt deſſen verfaßte er ein langes Gedicht; darin verglich er ſich ſelbſt mit einem jungen Adler, den Schulmeiſter mit einer grauen Krähe, Eliſabeth war die weiße Taube; der Adler gelobte, an der grauen Krähe Rache zu nehmen, ſobald ihm die Flügel ge¬ wachſen ſein würden. Dem jungen Dichter ſtanden die Thränen in den Augen; er kam ſich ſehr erhaben vor. Als er nach Hauſe gekommen war, wußte er ſich einen kleinen Pergamentband mit vielen weißen Blät¬ tern zu verſchaffen; auf die erſten Seiten ſchrieb er mit ſorgſamer Hand ſein erſtes Gedicht. — Bald darauf kam er in eine andere Schule; hier ſchloß er manche neue Kameradſchaft mit Knaben ſeines Al¬ ters; aber ſein Verkehr mit Eliſabeth wurde dadurch nicht geſtört. Von den Märchen, welche er ihr ſonſt erzählt und wieder erzählt hatte, fing er jetzt an, die, welche ihr am beſten gefallen hatten, aufzuſchreiben; dabei wandelte ihn oft die Luſt an, etwas von ſeinen eigenen Gedanken hineinzudichten; aber, er wußte nicht weshalb, er konnte immer nicht dazu gelangen. So ſchrieb er ſie genau auf, wie er ſie ſelber gehört

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/18>, abgerufen am 24.11.2024.