Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht so böse Augen, sagte sie; ich will ja mit nach
Indien.

Reinhardt faßte sie mit ausgelassener Freude bei
beiden Händen, und zog sie hinaus auf die Wiese.
Nach Indien, nach Indien! sang er und schwenkte sich
mit ihr im Kreise, daß ihr das rothe Tüchelchen vom
Halse flog. Dann aber ließ er sie plötzlich los und
sagte ernst: Es wird doch nichts daraus werden; du
hast keine Courage.

-- -- Elisabeth! Reinhardt! rief es jetzt von der
Gartenpforte. Hier! Hier! antworteten die Kinder,
und sprangen Hand in Hand nach Hause.

Im Walde.

So lebten die Kinder zusammen; sie war ihm oft
zu still, er war ihr oft zu heftig, aber sie ließen des¬
halb nicht von einander; fast alle Freistunden theilten
sie, Winters in den beschränkten Zimmern ihrer Müt¬
ter; Sommers in Busch und Feld. -- Als Elisabeth
einmal in Reinhardts Gegenwart von dem Schul¬
lehrer gescholten wurde, stieß er seine Tafel zornig
auf den Tisch, um den Eifer des Mannes auf sich zu

nicht ſo böſe Augen, ſagte ſie; ich will ja mit nach
Indien.

Reinhardt faßte ſie mit ausgelaſſener Freude bei
beiden Händen, und zog ſie hinaus auf die Wieſe.
Nach Indien, nach Indien! ſang er und ſchwenkte ſich
mit ihr im Kreiſe, daß ihr das rothe Tüchelchen vom
Halſe flog. Dann aber ließ er ſie plötzlich los und
ſagte ernſt: Es wird doch nichts daraus werden; du
haſt keine Courage.

— — Eliſabeth! Reinhardt! rief es jetzt von der
Gartenpforte. Hier! Hier! antworteten die Kinder,
und ſprangen Hand in Hand nach Hauſe.

Im Walde.

So lebten die Kinder zuſammen; ſie war ihm oft
zu ſtill, er war ihr oft zu heftig, aber ſie ließen des¬
halb nicht von einander; faſt alle Freiſtunden theilten
ſie, Winters in den beſchränkten Zimmern ihrer Müt¬
ter; Sommers in Buſch und Feld. — Als Eliſabeth
einmal in Reinhardts Gegenwart von dem Schul¬
lehrer geſcholten wurde, ſtieß er ſeine Tafel zornig
auf den Tiſch, um den Eifer des Mannes auf ſich zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="11"/>
nicht &#x017F;o bö&#x017F;e Augen, &#x017F;agte &#x017F;ie; ich will ja mit nach<lb/>
Indien.</p><lb/>
        <p>Reinhardt faßte &#x017F;ie mit ausgela&#x017F;&#x017F;ener Freude bei<lb/>
beiden Händen, und zog &#x017F;ie hinaus auf die Wie&#x017F;e.<lb/>
Nach Indien, nach Indien! &#x017F;ang er und &#x017F;chwenkte &#x017F;ich<lb/>
mit ihr im Krei&#x017F;e, daß ihr das rothe Tüchelchen vom<lb/>
Hal&#x017F;e flog. Dann aber ließ er &#x017F;ie plötzlich los und<lb/>
&#x017F;agte ern&#x017F;t: Es wird doch nichts daraus werden; du<lb/>
ha&#x017F;t keine Courage.</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x2014; Eli&#x017F;abeth! Reinhardt! rief es jetzt von der<lb/>
Gartenpforte. Hier! Hier! antworteten die Kinder,<lb/>
und &#x017F;prangen Hand in Hand nach Hau&#x017F;e.</p><lb/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Im Walde.</hi><lb/>
        </head>
        <p>So lebten die Kinder zu&#x017F;ammen; &#x017F;ie war ihm oft<lb/>
zu &#x017F;till, er war ihr oft zu heftig, aber &#x017F;ie ließen des¬<lb/>
halb nicht von einander; fa&#x017F;t alle Frei&#x017F;tunden theilten<lb/>
&#x017F;ie, Winters in den be&#x017F;chränkten Zimmern ihrer Müt¬<lb/>
ter; Sommers in Bu&#x017F;ch und Feld. &#x2014; Als Eli&#x017F;abeth<lb/>
einmal in Reinhardts Gegenwart von dem Schul¬<lb/>
lehrer ge&#x017F;cholten wurde, &#x017F;tieß er &#x017F;eine Tafel zornig<lb/>
auf den Ti&#x017F;ch, um den Eifer des Mannes auf &#x017F;ich zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0017] nicht ſo böſe Augen, ſagte ſie; ich will ja mit nach Indien. Reinhardt faßte ſie mit ausgelaſſener Freude bei beiden Händen, und zog ſie hinaus auf die Wieſe. Nach Indien, nach Indien! ſang er und ſchwenkte ſich mit ihr im Kreiſe, daß ihr das rothe Tüchelchen vom Halſe flog. Dann aber ließ er ſie plötzlich los und ſagte ernſt: Es wird doch nichts daraus werden; du haſt keine Courage. — — Eliſabeth! Reinhardt! rief es jetzt von der Gartenpforte. Hier! Hier! antworteten die Kinder, und ſprangen Hand in Hand nach Hauſe. Im Walde. So lebten die Kinder zuſammen; ſie war ihm oft zu ſtill, er war ihr oft zu heftig, aber ſie ließen des¬ halb nicht von einander; faſt alle Freiſtunden theilten ſie, Winters in den beſchränkten Zimmern ihrer Müt¬ ter; Sommers in Buſch und Feld. — Als Eliſabeth einmal in Reinhardts Gegenwart von dem Schul¬ lehrer geſcholten wurde, ſtieß er ſeine Tafel zornig auf den Tiſch, um den Eifer des Mannes auf ſich zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Theodor Storms Novelle "Immensee" erschien zuerst… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/17
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/17>, abgerufen am 18.04.2024.