Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

geboren werden. Die gutmüthige Alte lief mit wirrem Kopf umher; bald stellte sie ein Töpfchen für die Wöchnerin ans Feuer, bald wieder wickelte sie die dürftigen Hemdchen auseinander, die sie für ihr erwartetes Enkelkind aus alter Leinwand in vielen Wochen genäht hatte. Das junge Weib war im Bette liegen geblieben; der Mann saß bei ihr, er hatte Arbeit Arbeit sein lassen und hörte nur auf das Stöhnen seines Weibes, die fest ihre Hand um seine preßte. "John!" rief sie, "John! geschwind, Du mußt zur Mutter Grieten laufen, aber komm gleich wieder, bleib nicht fort!"

John hatte in dumpfen Sinnen gesessen. Nur wenige Augenblicke noch, dann sollte er Vater werden; ihn schauderte, er sah sich plötzlich wieder in der Züchtlingsjacke. "Ja, ja," rief er, "ich bin gleich wieder da!"

Es war am Morgen, und die Hebamme wohnte in derselben Straße; er lief und riß die Hausthür auf, und als er in die kleine Stube trat, saß die dicke Alte an ihrem Morgenkaffee. "Na, Er ist's!" rief sie unwirsch, "ich dacht' zum mindesten, es sei der Amtmann!"

geboren werden. Die gutmüthige Alte lief mit wirrem Kopf umher; bald stellte sie ein Töpfchen für die Wöchnerin ans Feuer, bald wieder wickelte sie die dürftigen Hemdchen auseinander, die sie für ihr erwartetes Enkelkind aus alter Leinwand in vielen Wochen genäht hatte. Das junge Weib war im Bette liegen geblieben; der Mann saß bei ihr, er hatte Arbeit Arbeit sein lassen und hörte nur auf das Stöhnen seines Weibes, die fest ihre Hand um seine preßte. „John!“ rief sie, „John! geschwind, Du mußt zur Mutter Grieten laufen, aber komm gleich wieder, bleib nicht fort!“

John hatte in dumpfen Sinnen gesessen. Nur wenige Augenblicke noch, dann sollte er Vater werden; ihn schauderte, er sah sich plötzlich wieder in der Züchtlingsjacke. „Ja, ja,“ rief er, „ich bin gleich wieder da!“

Es war am Morgen, und die Hebamme wohnte in derselben Straße; er lief und riß die Hausthür auf, und als er in die kleine Stube trat, saß die dicke Alte an ihrem Morgenkaffee. „Na, Er ist’s!“ rief sie unwirsch, „ich dacht’ zum mindesten, es sei der Amtmann!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0056" n="56"/>
geboren werden. Die gutmüthige Alte lief mit wirrem Kopf umher; bald stellte sie ein Töpfchen für die Wöchnerin ans Feuer, bald wieder wickelte sie die dürftigen Hemdchen auseinander, die sie für ihr erwartetes Enkelkind aus alter Leinwand in vielen Wochen genäht hatte. Das junge Weib war im Bette liegen geblieben; der Mann saß bei ihr, er hatte Arbeit Arbeit sein lassen und hörte nur auf das Stöhnen seines Weibes, die fest ihre Hand um seine preßte. &#x201E;John!&#x201C; rief sie, &#x201E;John! geschwind, Du mußt zur Mutter Grieten laufen, aber komm gleich wieder, bleib nicht fort!&#x201C;</p>
        <p>John hatte in dumpfen Sinnen gesessen. Nur wenige Augenblicke noch, dann sollte er Vater werden; ihn schauderte, er sah sich plötzlich wieder in der Züchtlingsjacke. &#x201E;Ja, ja,&#x201C; rief er, &#x201E;ich bin gleich wieder da!&#x201C;</p>
        <p>Es war am Morgen, und die Hebamme wohnte in derselben Straße; er lief und riß die Hausthür auf, und als er in die kleine Stube trat, saß die dicke Alte an ihrem Morgenkaffee. &#x201E;Na, Er ist&#x2019;s!&#x201C; rief sie unwirsch, &#x201E;ich dacht&#x2019; zum mindesten, es sei der Amtmann!&#x201C;</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0056] geboren werden. Die gutmüthige Alte lief mit wirrem Kopf umher; bald stellte sie ein Töpfchen für die Wöchnerin ans Feuer, bald wieder wickelte sie die dürftigen Hemdchen auseinander, die sie für ihr erwartetes Enkelkind aus alter Leinwand in vielen Wochen genäht hatte. Das junge Weib war im Bette liegen geblieben; der Mann saß bei ihr, er hatte Arbeit Arbeit sein lassen und hörte nur auf das Stöhnen seines Weibes, die fest ihre Hand um seine preßte. „John!“ rief sie, „John! geschwind, Du mußt zur Mutter Grieten laufen, aber komm gleich wieder, bleib nicht fort!“ John hatte in dumpfen Sinnen gesessen. Nur wenige Augenblicke noch, dann sollte er Vater werden; ihn schauderte, er sah sich plötzlich wieder in der Züchtlingsjacke. „Ja, ja,“ rief er, „ich bin gleich wieder da!“ Es war am Morgen, und die Hebamme wohnte in derselben Straße; er lief und riß die Hausthür auf, und als er in die kleine Stube trat, saß die dicke Alte an ihrem Morgenkaffee. „Na, Er ist’s!“ rief sie unwirsch, „ich dacht’ zum mindesten, es sei der Amtmann!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-15T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-15T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-15T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/56
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/56>, abgerufen am 09.05.2024.