Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

Hier saß die Frau meist an den Sommerabenden und harrte seiner, bis er von der Arbeit kam; dann flog sie auf ihn zu und zwang ihn, sich auf die Bank zu setzen; er aber litt sie nicht neben sich, er setzte sie auf seinen Schoß und hielt sie wie ein Kind an seiner Brust. "Komm nur", sagte er, "so müde bin ich nicht; ich hab' nicht viel, ich muß es alles in meinen Armen haben." So sprach er eines Adends; da sah sie ihn an und strich ihm, als wolle sie etwas fortwischen, mit ihren Fingern über die Stirn. "Das da wird immer tiefer!" sagte sie.

"Was denn, Hanna?"

"Die Falte - nein, sprich nicht, John; ich kann's schon denken, die Brückenarbeiter haben heut' ihr Fest; die andern sind da, sie haben Dich nicht eingeladen."

Die Falte wurde noch tiefer. "Laß das!" sagte er. "Sprich nicht davon; ich wär' ja doch nicht hingegangen." Und er klammerte die Arme fester um sein Weib. "Am besten", sagte er, "nur wir zwei allein."

- - Nach einigen Monaten sollte ein Kind

Hier saß die Frau meist an den Sommerabenden und harrte seiner, bis er von der Arbeit kam; dann flog sie auf ihn zu und zwang ihn, sich auf die Bank zu setzen; er aber litt sie nicht neben sich, er setzte sie auf seinen Schoß und hielt sie wie ein Kind an seiner Brust. „Komm nur“, sagte er, „so müde bin ich nicht; ich hab’ nicht viel, ich muß es alles in meinen Armen haben.“ So sprach er eines Adends; da sah sie ihn an und strich ihm, als wolle sie etwas fortwischen, mit ihren Fingern über die Stirn. „Das da wird immer tiefer!“ sagte sie.

„Was denn, Hanna?“

„Die Falte – nein, sprich nicht, John; ich kann’s schon denken, die Brückenarbeiter haben heut’ ihr Fest; die andern sind da, sie haben Dich nicht eingeladen.“

Die Falte wurde noch tiefer. „Laß das!“ sagte er. „Sprich nicht davon; ich wär’ ja doch nicht hingegangen.“ Und er klammerte die Arme fester um sein Weib. „Am besten“, sagte er, „nur wir zwei allein.“

– – Nach einigen Monaten sollte ein Kind

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0055" n="55"/>
Hier saß die Frau meist an den Sommerabenden und harrte seiner, bis er von der Arbeit kam; dann flog sie auf ihn zu und zwang ihn, sich auf die Bank zu setzen; er aber litt sie nicht neben sich, er setzte sie auf seinen Schoß und hielt sie wie ein Kind an seiner Brust. &#x201E;Komm nur&#x201C;, sagte er, &#x201E;so müde bin ich nicht; ich hab&#x2019; nicht viel, ich muß es alles in meinen Armen haben.&#x201C; So sprach er eines Adends; da sah sie ihn an und strich ihm, als wolle sie etwas fortwischen, mit ihren Fingern über die Stirn. &#x201E;Das da wird immer tiefer!&#x201C; sagte sie.</p>
        <p>&#x201E;Was denn, Hanna?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Die Falte &#x2013; nein, sprich nicht, John; ich kann&#x2019;s schon denken, die Brückenarbeiter haben heut&#x2019; ihr Fest; die andern sind da, sie haben Dich nicht eingeladen.&#x201C;</p>
        <p>Die Falte wurde noch tiefer. &#x201E;Laß das!&#x201C; sagte er. &#x201E;Sprich nicht davon; ich wär&#x2019; ja doch nicht hingegangen.&#x201C; Und er klammerte die Arme fester um sein Weib. &#x201E;Am besten&#x201C;, sagte er, &#x201E;nur wir zwei allein.&#x201C;</p>
        <p>&#x2013; &#x2013; Nach einigen Monaten sollte ein Kind
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0055] Hier saß die Frau meist an den Sommerabenden und harrte seiner, bis er von der Arbeit kam; dann flog sie auf ihn zu und zwang ihn, sich auf die Bank zu setzen; er aber litt sie nicht neben sich, er setzte sie auf seinen Schoß und hielt sie wie ein Kind an seiner Brust. „Komm nur“, sagte er, „so müde bin ich nicht; ich hab’ nicht viel, ich muß es alles in meinen Armen haben.“ So sprach er eines Adends; da sah sie ihn an und strich ihm, als wolle sie etwas fortwischen, mit ihren Fingern über die Stirn. „Das da wird immer tiefer!“ sagte sie. „Was denn, Hanna?“ „Die Falte – nein, sprich nicht, John; ich kann’s schon denken, die Brückenarbeiter haben heut’ ihr Fest; die andern sind da, sie haben Dich nicht eingeladen.“ Die Falte wurde noch tiefer. „Laß das!“ sagte er. „Sprich nicht davon; ich wär’ ja doch nicht hingegangen.“ Und er klammerte die Arme fester um sein Weib. „Am besten“, sagte er, „nur wir zwei allein.“ – – Nach einigen Monaten sollte ein Kind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-15T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-15T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-15T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/55
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/55>, abgerufen am 10.05.2024.