Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich hab' nicht weniger ein Weib als der!"

"Was ist mit Seinem Weibe?" frug die Alte.

"Frag' Sie nicht! Komm Sie mit mir; mein Weib liegt in Kindesnöthen; wir bedürfen Ihrer Hülfe."

Die Alte musterte den erregten Mann, als zähle sie im Geist die wenigen Schillinge, die dieser Dienst ihr abwerfen werde, wenn sie nicht gar verloren gingen. "Geh' er nur vorab!" sagte sie. "Ich muß erst meinen Kaffee trinken."

John stand wie unentschlossen an der Stubenthür.

"Geh' er nur!" wiederholte sie, "sein Kind kommt früh genug!"

Er hätte das Weib erdrosseln mögen; aber er biß nur die Zähne aufeinander; sein Weib bedurfte ihrer. "So bitt' ich nur, Frau Grieten, trinket nicht zu langsam!"

"Ja, ja", sagte die Alte "ich trinke, wie ich Lust hab'."

Er ging; er sah, daß jedes seiner Worte sie nur noch widerwilliger machte.

„Ich hab’ nicht weniger ein Weib als der!“

„Was ist mit Seinem Weibe?“ frug die Alte.

„Frag’ Sie nicht! Komm Sie mit mir; mein Weib liegt in Kindesnöthen; wir bedürfen Ihrer Hülfe.“

Die Alte musterte den erregten Mann, als zähle sie im Geist die wenigen Schillinge, die dieser Dienst ihr abwerfen werde, wenn sie nicht gar verloren gingen. „Geh’ er nur vorab!“ sagte sie. „Ich muß erst meinen Kaffee trinken.“

John stand wie unentschlossen an der Stubenthür.

„Geh’ er nur!“ wiederholte sie, „sein Kind kommt früh genug!“

Er hätte das Weib erdrosseln mögen; aber er biß nur die Zähne aufeinander; sein Weib bedurfte ihrer. „So bitt’ ich nur, Frau Grieten, trinket nicht zu langsam!“

„Ja, ja“, sagte die Alte „ich trinke, wie ich Lust hab’.“

Er ging; er sah, daß jedes seiner Worte sie nur noch widerwilliger machte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0057" n="57"/>
        <p>&#x201E;Ich hab&#x2019; nicht weniger ein Weib als der!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Was ist mit Seinem Weibe?&#x201C; frug die Alte.</p>
        <p>&#x201E;Frag&#x2019; Sie nicht! Komm Sie mit mir; mein Weib liegt in Kindesnöthen; wir bedürfen Ihrer Hülfe.&#x201C;</p>
        <p>Die Alte musterte den erregten Mann, als zähle sie im Geist die wenigen Schillinge, die dieser Dienst ihr abwerfen werde, wenn sie nicht gar verloren gingen. &#x201E;Geh&#x2019; er nur vorab!&#x201C; sagte sie. &#x201E;Ich muß erst meinen Kaffee trinken.&#x201C;</p>
        <p>John stand wie unentschlossen an der Stubenthür.</p>
        <p>&#x201E;Geh&#x2019; er nur!&#x201C; wiederholte sie, &#x201E;sein Kind kommt früh genug!&#x201C;</p>
        <p>Er hätte das Weib erdrosseln mögen; aber er biß nur die Zähne aufeinander; sein Weib bedurfte ihrer. &#x201E;So bitt&#x2019; ich nur, Frau Grieten, trinket nicht zu langsam!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ja, ja&#x201C;, sagte die Alte &#x201E;ich trinke, wie ich Lust hab&#x2019;.&#x201C;</p>
        <p>Er ging; er sah, daß jedes seiner Worte sie nur noch widerwilliger machte.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0057] „Ich hab’ nicht weniger ein Weib als der!“ „Was ist mit Seinem Weibe?“ frug die Alte. „Frag’ Sie nicht! Komm Sie mit mir; mein Weib liegt in Kindesnöthen; wir bedürfen Ihrer Hülfe.“ Die Alte musterte den erregten Mann, als zähle sie im Geist die wenigen Schillinge, die dieser Dienst ihr abwerfen werde, wenn sie nicht gar verloren gingen. „Geh’ er nur vorab!“ sagte sie. „Ich muß erst meinen Kaffee trinken.“ John stand wie unentschlossen an der Stubenthür. „Geh’ er nur!“ wiederholte sie, „sein Kind kommt früh genug!“ Er hätte das Weib erdrosseln mögen; aber er biß nur die Zähne aufeinander; sein Weib bedurfte ihrer. „So bitt’ ich nur, Frau Grieten, trinket nicht zu langsam!“ „Ja, ja“, sagte die Alte „ich trinke, wie ich Lust hab’.“ Er ging; er sah, daß jedes seiner Worte sie nur noch widerwilliger machte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-15T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-15T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-15T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/57
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/57>, abgerufen am 10.05.2024.