Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887."Nein, Wenzel; aber ich denk', er sitzt mir ziemlich fest. Erzähl' nur; das ist profitabler!" Sie rückten näher zusammen; ihr Reden wurde ein Flüstern; mitunter lies der eine auf den Deich und blickte scheu umher; aber keine Menschenseele ließ sich sehen. Die Dämmerung fiel herab; in tiefem Dunkel kamen die beiden zurück und stiegen in den Keller hinab, wo noch halbtrunkenes Volk an den Tischen lärmte. - - Drei Tage nachher wurde unsere Stadt durch das Gerücht eines unerhört frechen Einbruchdiebstahls aufgeschreckt, und was an Polizei vorhanden war, hatte mit Arm und Beinen zu thun. Das Erkerhaus am großen Markte, das der Exsenator Quanzberger allein mit seinem alten Diener bewohnte, war der Schauplatz gewesen. Der alte hagere Herr, den man gebunden, mit einem Knebel in seinem zahnlosen Munde neben seinem Bett gefunden hatte, konnte viele Wochen nachher nicht seinen pünktlichen Spaziergang durch die Gassen machen, und viele Jungen wußten deshalb nicht mehr, was die Uhr sei, und kamen viel zu spät oder zu früh in die Schule, und als er ihn wieder „Nein, Wenzel; aber ich denk’, er sitzt mir ziemlich fest. Erzähl’ nur; das ist profitabler!“ Sie rückten näher zusammen; ihr Reden wurde ein Flüstern; mitunter lies der eine auf den Deich und blickte scheu umher; aber keine Menschenseele ließ sich sehen. Die Dämmerung fiel herab; in tiefem Dunkel kamen die beiden zurück und stiegen in den Keller hinab, wo noch halbtrunkenes Volk an den Tischen lärmte. – – Drei Tage nachher wurde unsere Stadt durch das Gerücht eines unerhört frechen Einbruchdiebstahls aufgeschreckt, und was an Polizei vorhanden war, hatte mit Arm und Beinen zu thun. Das Erkerhaus am großen Markte, das der Exsenator Quanzberger allein mit seinem alten Diener bewohnte, war der Schauplatz gewesen. Der alte hagere Herr, den man gebunden, mit einem Knebel in seinem zahnlosen Munde neben seinem Bett gefunden hatte, konnte viele Wochen nachher nicht seinen pünktlichen Spaziergang durch die Gassen machen, und viele Jungen wußten deshalb nicht mehr, was die Uhr sei, und kamen viel zu spät oder zu früh in die Schule, und als er ihn wieder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0039" n="39"/> <p>„Nein, Wenzel; aber ich denk’, er sitzt mir ziemlich fest. Erzähl’ nur; das ist profitabler!“</p> <p>Sie rückten näher zusammen; ihr Reden wurde ein Flüstern; mitunter lies der eine auf den Deich und blickte scheu umher; aber keine Menschenseele ließ sich sehen. Die Dämmerung fiel herab; in tiefem Dunkel kamen die beiden zurück und stiegen in den Keller hinab, wo noch halbtrunkenes Volk an den Tischen lärmte.</p> <p>– – Drei Tage nachher wurde unsere Stadt durch das Gerücht eines unerhört frechen Einbruchdiebstahls aufgeschreckt, und was an Polizei vorhanden war, hatte mit Arm und Beinen zu thun. Das Erkerhaus am großen Markte, das der Exsenator Quanzberger allein mit seinem alten Diener bewohnte, war der Schauplatz gewesen. Der alte hagere Herr, den man gebunden, mit einem Knebel in seinem zahnlosen Munde neben seinem Bett gefunden hatte, konnte viele Wochen nachher nicht seinen pünktlichen Spaziergang durch die Gassen machen, und viele Jungen wußten deshalb nicht mehr, was die Uhr sei, und kamen viel zu spät oder zu früh in die Schule, und als er ihn wieder </p> </div> </body> </text> </TEI> [39/0039]
„Nein, Wenzel; aber ich denk’, er sitzt mir ziemlich fest. Erzähl’ nur; das ist profitabler!“
Sie rückten näher zusammen; ihr Reden wurde ein Flüstern; mitunter lies der eine auf den Deich und blickte scheu umher; aber keine Menschenseele ließ sich sehen. Die Dämmerung fiel herab; in tiefem Dunkel kamen die beiden zurück und stiegen in den Keller hinab, wo noch halbtrunkenes Volk an den Tischen lärmte.
– – Drei Tage nachher wurde unsere Stadt durch das Gerücht eines unerhört frechen Einbruchdiebstahls aufgeschreckt, und was an Polizei vorhanden war, hatte mit Arm und Beinen zu thun. Das Erkerhaus am großen Markte, das der Exsenator Quanzberger allein mit seinem alten Diener bewohnte, war der Schauplatz gewesen. Der alte hagere Herr, den man gebunden, mit einem Knebel in seinem zahnlosen Munde neben seinem Bett gefunden hatte, konnte viele Wochen nachher nicht seinen pünktlichen Spaziergang durch die Gassen machen, und viele Jungen wußten deshalb nicht mehr, was die Uhr sei, und kamen viel zu spät oder zu früh in die Schule, und als er ihn wieder
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/39 |
Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/39>, abgerufen am 16.02.2025. |