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Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

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Mein Vater war, wenigstens im Lande, ein bekannter Mann."

Sie nickte wieder ein paar Mal: "Ja, ich erinnere mich Ihres Namens aus meiner Kinderzeit."

Als ich dann aber meine Vaterstadt ihr nannte, wurden ihre Augen plötzlich starr und blieben unbeweglich auf den meinen ruhen; nur ein paar vorquellende Thränen verdunkelten jetzt beide.

Ich erschrak fast. "Es war nicht mein Gedanke, Ihnen weh zu thun", sagte ich; "aber der Wirth zum Bären, der meine Heimath aus dem Fremdenbuch erfahren hatte, behauptete, wir beide seien Stadtkinder mit einander!"

Sie that einen tiefen Athemzug. "Wenn Sie daher stammen", sagte sie, "so sind wir es."

"Und doch", fuhr ich etwas zögernd fort; "ich glaube alle damaligen Familien unserer Stadt zu kennen und wüßte nicht, in welche ich Sie hineinbringen sollte."

"Die meine werden Sie nicht gekannt haben;" erwiderte die Frau.

"Das wäre seltsam! Wann haben Sie denn die Stadt verlassen?"

Mein Vater war, wenigstens im Lande, ein bekannter Mann.“

Sie nickte wieder ein paar Mal: „Ja, ich erinnere mich Ihres Namens aus meiner Kinderzeit.“

Als ich dann aber meine Vaterstadt ihr nannte, wurden ihre Augen plötzlich starr und blieben unbeweglich auf den meinen ruhen; nur ein paar vorquellende Thränen verdunkelten jetzt beide.

Ich erschrak fast. „Es war nicht mein Gedanke, Ihnen weh zu thun“, sagte ich; „aber der Wirth zum Bären, der meine Heimath aus dem Fremdenbuch erfahren hatte, behauptete, wir beide seien Stadtkinder mit einander!“

Sie that einen tiefen Athemzug. „Wenn Sie daher stammen“, sagte sie, „so sind wir es.“

„Und doch“, fuhr ich etwas zögernd fort; „ich glaube alle damaligen Familien unserer Stadt zu kennen und wüßte nicht, in welche ich Sie hineinbringen sollte.“

„Die meine werden Sie nicht gekannt haben;“ erwiderte die Frau.

„Das wäre seltsam! Wann haben Sie denn die Stadt verlassen?“

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[22/0022] Mein Vater war, wenigstens im Lande, ein bekannter Mann.“ Sie nickte wieder ein paar Mal: „Ja, ich erinnere mich Ihres Namens aus meiner Kinderzeit.“ Als ich dann aber meine Vaterstadt ihr nannte, wurden ihre Augen plötzlich starr und blieben unbeweglich auf den meinen ruhen; nur ein paar vorquellende Thränen verdunkelten jetzt beide. Ich erschrak fast. „Es war nicht mein Gedanke, Ihnen weh zu thun“, sagte ich; „aber der Wirth zum Bären, der meine Heimath aus dem Fremdenbuch erfahren hatte, behauptete, wir beide seien Stadtkinder mit einander!“ Sie that einen tiefen Athemzug. „Wenn Sie daher stammen“, sagte sie, „so sind wir es.“ „Und doch“, fuhr ich etwas zögernd fort; „ich glaube alle damaligen Familien unserer Stadt zu kennen und wüßte nicht, in welche ich Sie hineinbringen sollte.“ „Die meine werden Sie nicht gekannt haben;“ erwiderte die Frau. „Das wäre seltsam! Wann haben Sie denn die Stadt verlassen?“

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/22>, abgerufen am 29.11.2024.