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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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Ein Blick fast wie ein Flehen flog zu mir
herüber, und tiefes Rosenroth bedeckte ihr Antlitz.
"Ich weiß nicht," sagte sie beklommen; und leiser,
daß ich's kaum vernehmen mochte, setzte sie hinzu:
"Es heißt, sie hab' einen Andern lieb gehabt;
der war nicht ihres Standes."

Ich hatte den Pinsel sinken lassen; denn sie
saß vor mir mit gesenkten Blicken; wenn nicht
die kleine Hand sich leis aus ihrem Schooße auf
ihr Herz geleget, so wäre sie selber wie ein leb¬
los Bild gewesen.

So hold es war, ich sprach doch endlich:
"So kann ich ja nicht malen; wollet Ihr mich
nicht ansehen, Katharina?"

Und als sie nun die Wimpern von den
braunen Augensternen hob, da war kein Hehlens
mehr; heiß und offen ging der Strahl zu meinem
Herzen. "Katharina!" Ich war aufgesprungen.
"Hätte jene Frau auch Dich verflucht?"

Sie athmete tief auf. "Auch mich, Johan¬
nes!" -- Da lag ihr Haupt an meiner Brust,
und fest umschlossen standen wir vor dem Bild

Ein Blick faſt wie ein Flehen flog zu mir
herüber, und tiefes Roſenroth bedeckte ihr Antlitz.
„Ich weiß nicht,“ ſagte ſie beklommen; und leiſer,
daß ich's kaum vernehmen mochte, ſetzte ſie hinzu:
„Es heißt, ſie hab' einen Andern lieb gehabt;
der war nicht ihres Standes.“

Ich hatte den Pinſel ſinken laſſen; denn ſie
ſaß vor mir mit geſenkten Blicken; wenn nicht
die kleine Hand ſich leis aus ihrem Schooße auf
ihr Herz geleget, ſo wäre ſie ſelber wie ein leb¬
los Bild geweſen.

So hold es war, ich ſprach doch endlich:
„So kann ich ja nicht malen; wollet Ihr mich
nicht anſehen, Katharina?“

Und als ſie nun die Wimpern von den
braunen Augenſternen hob, da war kein Hehlens
mehr; heiß und offen ging der Strahl zu meinem
Herzen. „Katharina!“ Ich war aufgeſprungen.
„Hätte jene Frau auch Dich verflucht?“

Sie athmete tief auf. „Auch mich, Johan¬
nes!“ — Da lag ihr Haupt an meiner Bruſt,
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[62/0076] Ein Blick faſt wie ein Flehen flog zu mir herüber, und tiefes Roſenroth bedeckte ihr Antlitz. „Ich weiß nicht,“ ſagte ſie beklommen; und leiſer, daß ich's kaum vernehmen mochte, ſetzte ſie hinzu: „Es heißt, ſie hab' einen Andern lieb gehabt; der war nicht ihres Standes.“ Ich hatte den Pinſel ſinken laſſen; denn ſie ſaß vor mir mit geſenkten Blicken; wenn nicht die kleine Hand ſich leis aus ihrem Schooße auf ihr Herz geleget, ſo wäre ſie ſelber wie ein leb¬ los Bild geweſen. So hold es war, ich ſprach doch endlich: „So kann ich ja nicht malen; wollet Ihr mich nicht anſehen, Katharina?“ Und als ſie nun die Wimpern von den braunen Augenſternen hob, da war kein Hehlens mehr; heiß und offen ging der Strahl zu meinem Herzen. „Katharina!“ Ich war aufgeſprungen. „Hätte jene Frau auch Dich verflucht?“ Sie athmete tief auf. „Auch mich, Johan¬ nes!“ — Da lag ihr Haupt an meiner Bruſt, und feſt umſchloſſen ſtanden wir vor dem Bild

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/76>, abgerufen am 02.05.2024.