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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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ein leises Geräusch hereingedrungen. -- War
Katharina dort, um ungesehen bei meinem
schweren Werk mir nah zu sein? -- Ich konnte
es nicht enträthseln.

Es war schon spät. Mein Bild war fertig,
und ich wollte mich zum Gehen wenden; aber
mir war, als müsse ich noch einen Abschied
nehmen, ohne den ich nicht von hinnen könne. --
So stand ich zögernd und schaute durch das
Fenster auf die öden Felder draußen, wo schon
die Dämmerung begunnte sich zu breiten; da
öffnete sich vom Flure her die Thür, und der
Prediger trat zu mir herein.

Er grüßte schweigend; dann mit gefalteten
Händen blieb er stehen und betrachtete wechselnd
das Antlitz auf dem Bilde und das des kleinen
Leichnams vor ihm, als ob er sorgsame Ver¬
gleichung halte. Als aber seine Augen auf die
Lilie in der gemalten Hand des Kindes fielen,
hub er wie im Schmerze seine beiden Hände auf,
und ich sahe, wie seinen Augen jählings ein
reicher Thränenquell entstürzete.

ein leiſes Geräuſch hereingedrungen. — War
Katharina dort, um ungeſehen bei meinem
ſchweren Werk mir nah zu ſein? — Ich konnte
es nicht enträthſeln.

Es war ſchon ſpät. Mein Bild war fertig,
und ich wollte mich zum Gehen wenden; aber
mir war, als müſſe ich noch einen Abſchied
nehmen, ohne den ich nicht von hinnen könne. —
So ſtand ich zögernd und ſchaute durch das
Fenſter auf die öden Felder draußen, wo ſchon
die Dämmerung begunnte ſich zu breiten; da
öffnete ſich vom Flure her die Thür, und der
Prediger trat zu mir herein.

Er grüßte ſchweigend; dann mit gefalteten
Händen blieb er ſtehen und betrachtete wechſelnd
das Antlitz auf dem Bilde und das des kleinen
Leichnams vor ihm, als ob er ſorgſame Ver¬
gleichung halte. Als aber ſeine Augen auf die
Lilie in der gemalten Hand des Kindes fielen,
hub er wie im Schmerze ſeine beiden Hände auf,
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reicher Thränenquell entſtürzete.

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[155/0169] ein leiſes Geräuſch hereingedrungen. — War Katharina dort, um ungeſehen bei meinem ſchweren Werk mir nah zu ſein? — Ich konnte es nicht enträthſeln. Es war ſchon ſpät. Mein Bild war fertig, und ich wollte mich zum Gehen wenden; aber mir war, als müſſe ich noch einen Abſchied nehmen, ohne den ich nicht von hinnen könne. — So ſtand ich zögernd und ſchaute durch das Fenſter auf die öden Felder draußen, wo ſchon die Dämmerung begunnte ſich zu breiten; da öffnete ſich vom Flure her die Thür, und der Prediger trat zu mir herein. Er grüßte ſchweigend; dann mit gefalteten Händen blieb er ſtehen und betrachtete wechſelnd das Antlitz auf dem Bilde und das des kleinen Leichnams vor ihm, als ob er ſorgſame Ver¬ gleichung halte. Als aber ſeine Augen auf die Lilie in der gemalten Hand des Kindes fielen, hub er wie im Schmerze ſeine beiden Hände auf, und ich ſahe, wie ſeinen Augen jählings ein reicher Thränenquell entſtürzete.

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/169>, abgerufen am 28.04.2024.