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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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gebracht oder hielt man sie auch hier gefangen?
-- Lang, gar lange sahe ich das Bildniß an;
die alte Zeit stieg auf und quälete mein Herz.
Endlich, da ich mußte, brach ich einen Bissen
Brod und stürzete ein paar Gläser Wein hinab;
dann ging ich zurück zu unserem todten Kinde.

Als ich drüben eingetreten und mich an die
Arbeit setzen wollte, zeigete es sich, daß in dem
kleinen Angesicht die Augenlider um ein Weniges
sich gehoben hatten. Da bückete ich mich hinab,
im Wahne, ich möchte noch einmal meines Kindes
Blick gewinnen; als aber die kalten Augensterne
vor mir lagen, überlief mich Grausen; mir war,
als sähe ich die Augen jener Ahne des Geschlech¬
tes, als wollten sie noch hier aus unseres Kindes
Leichenantlitz künden: "Mein Fluch hat doch
Euch Beide eingeholet!" -- Aber zugleich -- ich
hätte es um alle Welt nicht lassen können --
umfing ich mit beiden Armen den kleinen blassen
Leichnam und hob ihn auf an meine Brust und
herzete unter bitteren Thränen zum ersten Male
mein geliebtes Kind. "Nein, nein, mein armer

gebracht oder hielt man ſie auch hier gefangen?
— Lang, gar lange ſahe ich das Bildniß an;
die alte Zeit ſtieg auf und quälete mein Herz.
Endlich, da ich mußte, brach ich einen Biſſen
Brod und ſtürzete ein paar Gläſer Wein hinab;
dann ging ich zurück zu unſerem todten Kinde.

Als ich drüben eingetreten und mich an die
Arbeit ſetzen wollte, zeigete es ſich, daß in dem
kleinen Angeſicht die Augenlider um ein Weniges
ſich gehoben hatten. Da bückete ich mich hinab,
im Wahne, ich möchte noch einmal meines Kindes
Blick gewinnen; als aber die kalten Augenſterne
vor mir lagen, überlief mich Grauſen; mir war,
als ſähe ich die Augen jener Ahne des Geſchlech¬
tes, als wollten ſie noch hier aus unſeres Kindes
Leichenantlitz künden: „Mein Fluch hat doch
Euch Beide eingeholet!“ — Aber zugleich — ich
hätte es um alle Welt nicht laſſen können —
umfing ich mit beiden Armen den kleinen blaſſen
Leichnam und hob ihn auf an meine Bruſt und
herzete unter bitteren Thränen zum erſten Male
mein geliebtes Kind. „Nein, nein, mein armer

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[153/0167] gebracht oder hielt man ſie auch hier gefangen? — Lang, gar lange ſahe ich das Bildniß an; die alte Zeit ſtieg auf und quälete mein Herz. Endlich, da ich mußte, brach ich einen Biſſen Brod und ſtürzete ein paar Gläſer Wein hinab; dann ging ich zurück zu unſerem todten Kinde. Als ich drüben eingetreten und mich an die Arbeit ſetzen wollte, zeigete es ſich, daß in dem kleinen Angeſicht die Augenlider um ein Weniges ſich gehoben hatten. Da bückete ich mich hinab, im Wahne, ich möchte noch einmal meines Kindes Blick gewinnen; als aber die kalten Augenſterne vor mir lagen, überlief mich Grauſen; mir war, als ſähe ich die Augen jener Ahne des Geſchlech¬ tes, als wollten ſie noch hier aus unſeres Kindes Leichenantlitz künden: „Mein Fluch hat doch Euch Beide eingeholet!“ — Aber zugleich — ich hätte es um alle Welt nicht laſſen können — umfing ich mit beiden Armen den kleinen blaſſen Leichnam und hob ihn auf an meine Bruſt und herzete unter bitteren Thränen zum erſten Male mein geliebtes Kind. „Nein, nein, mein armer

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/167>, abgerufen am 22.11.2024.