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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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Ich hatte nicht die Zeit zur Antwort; ein
gellender Schrei durchschnitt die Lust; ich werde
ihn leblang in den Ohren haben.

"Was war das Küster?" rief ich.

Der Mann riß ein Fenster auf und horchete
hinaus; aber es geschah nichts weiter. "So mir
Gott," sagte er, "es war ein Weib, das so ge¬
schrieen hat; und drüben von der Priesterkoppel
kam's."

Indem war auch die alte Trienke in die
Thür gekommen. "Nun, Herr?" rief sie mir zu.
"Die Leichlaken sind auf des Pastors Dach ge¬
fallen!"

-- "Was soll das heißen, Trienke?"

"Das soll heißen, daß sie des Pastors kleinen
Johannes so eben aus dem Wasser ziehen."

Ich stürzete aus dem Zimmer und durch den
Garten auf die Priesterkoppel; aber unter den
Weiden fand ich nur das dunkle Wasser und
Spuren feuchten Schlammes daneben auf dem
Grase. -- Ich bedachte mich nicht, es war ganz
wie von selber, daß ich durch das weiße Pförtchen

Storm, Aquis submersus. 10

Ich hatte nicht die Zeit zur Antwort; ein
gellender Schrei durchſchnitt die Luſt; ich werde
ihn leblang in den Ohren haben.

„Was war das Küſter?“ rief ich.

Der Mann riß ein Fenſter auf und horchete
hinaus; aber es geſchah nichts weiter. „So mir
Gott,“ ſagte er, „es war ein Weib, das ſo ge¬
ſchrieen hat; und drüben von der Prieſterkoppel
kam's.“

Indem war auch die alte Trienke in die
Thür gekommen. „Nun, Herr?“ rief ſie mir zu.
„Die Leichlaken ſind auf des Paſtors Dach ge¬
fallen!“

— „Was ſoll das heißen, Trienke?“

„Das ſoll heißen, daß ſie des Paſtors kleinen
Johannes ſo eben aus dem Waſſer ziehen.“

Ich ſtürzete aus dem Zimmer und durch den
Garten auf die Prieſterkoppel; aber unter den
Weiden fand ich nur das dunkle Waſſer und
Spuren feuchten Schlammes daneben auf dem
Graſe. — Ich bedachte mich nicht, es war ganz
wie von ſelber, daß ich durch das weiße Pförtchen

Storm, Aquis submersus. 10
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[145/0159] Ich hatte nicht die Zeit zur Antwort; ein gellender Schrei durchſchnitt die Luſt; ich werde ihn leblang in den Ohren haben. „Was war das Küſter?“ rief ich. Der Mann riß ein Fenſter auf und horchete hinaus; aber es geſchah nichts weiter. „So mir Gott,“ ſagte er, „es war ein Weib, das ſo ge¬ ſchrieen hat; und drüben von der Prieſterkoppel kam's.“ Indem war auch die alte Trienke in die Thür gekommen. „Nun, Herr?“ rief ſie mir zu. „Die Leichlaken ſind auf des Paſtors Dach ge¬ fallen!“ — „Was ſoll das heißen, Trienke?“ „Das ſoll heißen, daß ſie des Paſtors kleinen Johannes ſo eben aus dem Waſſer ziehen.“ Ich ſtürzete aus dem Zimmer und durch den Garten auf die Prieſterkoppel; aber unter den Weiden fand ich nur das dunkle Waſſer und Spuren feuchten Schlammes daneben auf dem Graſe. — Ich bedachte mich nicht, es war ganz wie von ſelber, daß ich durch das weiße Pförtchen Storm, Aquis submersus. 10

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/159>, abgerufen am 28.04.2024.