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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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Antlitz gleichwie in stummer Klage gegen mich,
und ich gedachte: so wird er dir einstmals in
der Ewigkeit entgegentreten!

Ich konnte heute nicht weiter malen; sondern
ging fort und schlich auf meine Kammer ober
der Hausthür, allwo ich mich an's Fenster setzte
und durch den Ausschnitt der Lindenbäume auf
den Markt hinabsah. Es gab aber groß' Gewühl
dort, und war bis drüben an die Rathswage
und weiter bis zur Kirchen Alles voll von Wagen
und Menschen; denn es war ein Donnerstag und
noch zur Stunde, daß Gast mit Gaste handeln
durfte, also daß der Stadtknecht mit dem Griper
müßig auf unseres Nachbaren Beischlag saß,
maaßen es vor der Hand keine Brüchen zu er¬
haschen gab. Die Ostenfelder Weiber mit ihren
rothen Jacken, die Mädchen von den Inseln mit
ihren Kopftüchern und feinem Silberschmuck, da¬
zwischen die hochgethürmeten Getreidewagen und
darauf die Bauern in ihren gelben Lederhosen --
dies Alles mochte wol ein Bild für eines Malers
Auge geben, zumal wenn selbiger, wie ich, bei

Storm, Aquis submersus. 8

Antlitz gleichwie in ſtummer Klage gegen mich,
und ich gedachte: ſo wird er dir einſtmals in
der Ewigkeit entgegentreten!

Ich konnte heute nicht weiter malen; ſondern
ging fort und ſchlich auf meine Kammer ober
der Hausthür, allwo ich mich an's Fenſter ſetzte
und durch den Ausſchnitt der Lindenbäume auf
den Markt hinabſah. Es gab aber groß' Gewühl
dort, und war bis drüben an die Rathswage
und weiter bis zur Kirchen Alles voll von Wagen
und Menſchen; denn es war ein Donnerstag und
noch zur Stunde, daß Gaſt mit Gaſte handeln
durfte, alſo daß der Stadtknecht mit dem Griper
müßig auf unſeres Nachbaren Beiſchlag ſaß,
maaßen es vor der Hand keine Brüchen zu er¬
haſchen gab. Die Oſtenfelder Weiber mit ihren
rothen Jacken, die Mädchen von den Inſeln mit
ihren Kopftüchern und feinem Silberſchmuck, da¬
zwiſchen die hochgethürmeten Getreidewagen und
darauf die Bauern in ihren gelben Lederhoſen —
dies Alles mochte wol ein Bild für eines Malers
Auge geben, zumal wenn ſelbiger, wie ich, bei

Storm, Aquis submersus. 8
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[113/0127] Antlitz gleichwie in ſtummer Klage gegen mich, und ich gedachte: ſo wird er dir einſtmals in der Ewigkeit entgegentreten! Ich konnte heute nicht weiter malen; ſondern ging fort und ſchlich auf meine Kammer ober der Hausthür, allwo ich mich an's Fenſter ſetzte und durch den Ausſchnitt der Lindenbäume auf den Markt hinabſah. Es gab aber groß' Gewühl dort, und war bis drüben an die Rathswage und weiter bis zur Kirchen Alles voll von Wagen und Menſchen; denn es war ein Donnerstag und noch zur Stunde, daß Gaſt mit Gaſte handeln durfte, alſo daß der Stadtknecht mit dem Griper müßig auf unſeres Nachbaren Beiſchlag ſaß, maaßen es vor der Hand keine Brüchen zu er¬ haſchen gab. Die Oſtenfelder Weiber mit ihren rothen Jacken, die Mädchen von den Inſeln mit ihren Kopftüchern und feinem Silberſchmuck, da¬ zwiſchen die hochgethürmeten Getreidewagen und darauf die Bauern in ihren gelben Lederhoſen — dies Alles mochte wol ein Bild für eines Malers Auge geben, zumal wenn ſelbiger, wie ich, bei Storm, Aquis submersus. 8

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/127>, abgerufen am 02.05.2024.