das Geschwätz darüber verhallt außerhalb dem Kreise engerer Bekanntschaften, und das fort- reissende Interesse der Begebenheiten des Ta- ges macht sie morgen vergessen.
Nach den Zügen der petersburgischen Le- bensart, die in diesem Abschnitte zusammenge- stellt sind, wird jeder Leser erwarten, daß eine sorgfältige und häusliche Kindererziehung nur in den wenigen Familien statt finden kann, die mehr sich als der Welt, mehr dem Zweck ihres stillen Daseyns als den Geschäften und Ver- gnügungen einer glänzenden Kaiserstadt leben. So zärtlich man hier auch für das Wohl sei- ner Kinder besorgt ist, so viel man an ihre Ausbildung wendet, so selten ist doch der Fall, daß Eltern selbst die nähere Aufsicht, oder Mütter die erste physische Erziehung überneh- men. Der Ton der Lebensart ist einer sol- chen Sorgfalt ganz zuwider. Um ihren Säuglingen selbst die erste Nahrung zu rei- chen, müßten die Mütter sich ihren Zirkeln entziehen, und die natürlichen Unbequemlichkei- ten der Wartung vertragen sich nicht mit der Reinlichkeit und Eleganz in den Prunkzim- mern. -- Sobald die erste mühselige Lebens-
das Geſchwaͤtz daruͤber verhallt außerhalb dem Kreiſe engerer Bekanntſchaften, und das fort- reiſſende Intereſſe der Begebenheiten des Ta- ges macht ſie morgen vergeſſen.
Nach den Zuͤgen der petersburgiſchen Le- bensart, die in dieſem Abſchnitte zuſammenge- ſtellt ſind, wird jeder Leſer erwarten, daß eine ſorgfaͤltige und haͤusliche Kindererziehung nur in den wenigen Familien ſtatt finden kann, die mehr ſich als der Welt, mehr dem Zweck ihres ſtillen Daſeyns als den Geſchaͤften und Ver- gnuͤgungen einer glaͤnzenden Kaiſerſtadt leben. So zaͤrtlich man hier auch fuͤr das Wohl ſei- ner Kinder beſorgt iſt, ſo viel man an ihre Ausbildung wendet, ſo ſelten iſt doch der Fall, daß Eltern ſelbſt die naͤhere Aufſicht, oder Muͤtter die erſte phyſiſche Erziehung uͤberneh- men. Der Ton der Lebensart iſt einer ſol- chen Sorgfalt ganz zuwider. Um ihren Saͤuglingen ſelbſt die erſte Nahrung zu rei- chen, muͤßten die Muͤtter ſich ihren Zirkeln entziehen, und die natuͤrlichen Unbequemlichkei- ten der Wartung vertragen ſich nicht mit der Reinlichkeit und Eleganz in den Prunkzim- mern. — Sobald die erſte muͤhſelige Lebens-
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das Geſchwaͤtz daruͤber verhallt außerhalb dem
Kreiſe engerer Bekanntſchaften, und das fort-
reiſſende Intereſſe der Begebenheiten des Ta-
ges macht ſie morgen vergeſſen.
Nach den Zuͤgen der petersburgiſchen Le-
bensart, die in dieſem Abſchnitte zuſammenge-
ſtellt ſind, wird jeder Leſer erwarten, daß eine
ſorgfaͤltige und haͤusliche Kindererziehung nur
in den wenigen Familien ſtatt finden kann, die
mehr ſich als der Welt, mehr dem Zweck ihres
ſtillen Daſeyns als den Geſchaͤften und Ver-
gnuͤgungen einer glaͤnzenden Kaiſerſtadt leben.
So zaͤrtlich man hier auch fuͤr das Wohl ſei-
ner Kinder beſorgt iſt, ſo viel man an ihre
Ausbildung wendet, ſo ſelten iſt doch der Fall,
daß Eltern ſelbſt die naͤhere Aufſicht, oder
Muͤtter die erſte phyſiſche Erziehung uͤberneh-
men. Der Ton der Lebensart iſt einer ſol-
chen Sorgfalt ganz zuwider. Um ihren
Saͤuglingen ſelbſt die erſte Nahrung zu rei-
chen, muͤßten die Muͤtter ſich ihren Zirkeln
entziehen, und die natuͤrlichen Unbequemlichkei-
ten der Wartung vertragen ſich nicht mit der
Reinlichkeit und Eleganz in den Prunkzim-
mern. — Sobald die erſte muͤhſelige Lebens-
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/480>, abgerufen am 23.11.2024.
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