Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Schönheit gleichen, deren Reize Bewunderung
einflößen könnten, ohne Empfindung und Theil-
nahme zu erregen. Begünstigt wie wir sind,
erhebt sie sich zu einer Gottheit, auf deren
Altar Jeder opfert, und die dafür mit milder
Hand jedem Sterblichen seinen Genuß zu-
theilt. Der Reiche und der Arme gehen zu
gleichen Theilen; jener giebt, dieser empfängt,
und beyde genießen.

Die Geselligkeit hat hier einen ganz an-
dern Karakter, als in den meisten Ländern
von Europa, deren Sitten und Gebräuche wir
kennen. Sie wurzelt nicht etwa bloß unter
Freunden und genauen Bekannten, wie in Eng-
land, wo die Geselligkeit eigentlich gar nicht,
die Freundschaft hingegen desto mehr zu Hause
zu seyn scheint. Sie schränkt sich nicht bloß
auf Unterhaltung ein, wie in Deutschland,
wo man mit gesättigter Seele und hungri-
gem Magen sich gegen die Zeit der Abend-
mahlzeit trennt, oder wo sich ein ganzer Zir-
kel zum Genuß einer Tasse Kaffee versammelt.
Unsere Geselligkeit besteht im gemeinschaftli-
chen Genuß aller Freuden des Lebens. Nur
Geschäfte und Sorgen behält man für sich

D d 2

Schoͤnheit gleichen, deren Reize Bewunderung
einfloͤßen koͤnnten, ohne Empfindung und Theil-
nahme zu erregen. Beguͤnſtigt wie wir ſind,
erhebt ſie ſich zu einer Gottheit, auf deren
Altar Jeder opfert, und die dafuͤr mit milder
Hand jedem Sterblichen ſeinen Genuß zu-
theilt. Der Reiche und der Arme gehen zu
gleichen Theilen; jener giebt, dieſer empfaͤngt,
und beyde genießen.

Die Geſelligkeit hat hier einen ganz an-
dern Karakter, als in den meiſten Laͤndern
von Europa, deren Sitten und Gebraͤuche wir
kennen. Sie wurzelt nicht etwa bloß unter
Freunden und genauen Bekannten, wie in Eng-
land, wo die Geſelligkeit eigentlich gar nicht,
die Freundſchaft hingegen deſto mehr zu Hauſe
zu ſeyn ſcheint. Sie ſchraͤnkt ſich nicht bloß
auf Unterhaltung ein, wie in Deutſchland,
wo man mit geſaͤttigter Seele und hungri-
gem Magen ſich gegen die Zeit der Abend-
mahlzeit trennt, oder wo ſich ein ganzer Zir-
kel zum Genuß einer Taſſe Kaffee verſammelt.
Unſere Geſelligkeit beſteht im gemeinſchaftli-
chen Genuß aller Freuden des Lebens. Nur
Geſchaͤfte und Sorgen behaͤlt man fuͤr ſich

D d 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0437" n="419"/>
Scho&#x0364;nheit gleichen, deren Reize Bewunderung<lb/>
einflo&#x0364;ßen ko&#x0364;nnten, ohne Empfindung und Theil-<lb/>
nahme zu erregen. Begu&#x0364;n&#x017F;tigt wie wir &#x017F;ind,<lb/>
erhebt &#x017F;ie &#x017F;ich zu einer Gottheit, auf deren<lb/>
Altar Jeder opfert, und die dafu&#x0364;r mit milder<lb/>
Hand jedem Sterblichen &#x017F;einen Genuß zu-<lb/>
theilt. Der Reiche und der Arme gehen zu<lb/>
gleichen Theilen; jener giebt, die&#x017F;er empfa&#x0364;ngt,<lb/>
und beyde genießen.</p><lb/>
          <p>Die Ge&#x017F;elligkeit hat hier einen ganz an-<lb/>
dern Karakter, als in den mei&#x017F;ten La&#x0364;ndern<lb/>
von Europa, deren Sitten und Gebra&#x0364;uche wir<lb/>
kennen. Sie wurzelt nicht etwa bloß unter<lb/>
Freunden und genauen Bekannten, wie in Eng-<lb/>
land, wo die Ge&#x017F;elligkeit eigentlich gar nicht,<lb/>
die Freund&#x017F;chaft hingegen de&#x017F;to mehr zu Hau&#x017F;e<lb/>
zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint. Sie &#x017F;chra&#x0364;nkt &#x017F;ich nicht bloß<lb/>
auf Unterhaltung ein, wie in Deut&#x017F;chland,<lb/>
wo man mit ge&#x017F;a&#x0364;ttigter Seele und hungri-<lb/>
gem Magen &#x017F;ich gegen die Zeit der Abend-<lb/>
mahlzeit trennt, oder wo &#x017F;ich ein ganzer Zir-<lb/>
kel zum Genuß einer Ta&#x017F;&#x017F;e Kaffee ver&#x017F;ammelt.<lb/>
Un&#x017F;ere Ge&#x017F;elligkeit be&#x017F;teht im gemein&#x017F;chaftli-<lb/>
chen Genuß aller Freuden des Lebens. Nur<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;fte und Sorgen beha&#x0364;lt man fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0437] Schoͤnheit gleichen, deren Reize Bewunderung einfloͤßen koͤnnten, ohne Empfindung und Theil- nahme zu erregen. Beguͤnſtigt wie wir ſind, erhebt ſie ſich zu einer Gottheit, auf deren Altar Jeder opfert, und die dafuͤr mit milder Hand jedem Sterblichen ſeinen Genuß zu- theilt. Der Reiche und der Arme gehen zu gleichen Theilen; jener giebt, dieſer empfaͤngt, und beyde genießen. Die Geſelligkeit hat hier einen ganz an- dern Karakter, als in den meiſten Laͤndern von Europa, deren Sitten und Gebraͤuche wir kennen. Sie wurzelt nicht etwa bloß unter Freunden und genauen Bekannten, wie in Eng- land, wo die Geſelligkeit eigentlich gar nicht, die Freundſchaft hingegen deſto mehr zu Hauſe zu ſeyn ſcheint. Sie ſchraͤnkt ſich nicht bloß auf Unterhaltung ein, wie in Deutſchland, wo man mit geſaͤttigter Seele und hungri- gem Magen ſich gegen die Zeit der Abend- mahlzeit trennt, oder wo ſich ein ganzer Zir- kel zum Genuß einer Taſſe Kaffee verſammelt. Unſere Geſelligkeit beſteht im gemeinſchaftli- chen Genuß aller Freuden des Lebens. Nur Geſchaͤfte und Sorgen behaͤlt man fuͤr ſich D d 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/437
Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/437>, abgerufen am 19.05.2024.