er oft die Quelle edler und menschlicher Ge- fühle und Handlungen wird. Es hieße jedoch zu viel gefordert, wenn man überall, beym großen Haufen sowol, als bey dem feinern und gebildetern Theile des Publikums jenes Motiv in aller Lauterkeit aufsuchen wollte. Leerheit des Kopfs und des Herzens, Unbe- kanntschaft mit stillen geistigen Erholungen, Durst nach Unterhaltung, das Vergnügen zu sehen und gesehen zu werden, die Absicht Ver- bindungen zu stiften, der Hang zum Spiel und hundert andre edlere und niedrigere Zwecke treiben hier so gut wie anderswo die Menschen zu einander, weil sie hier so gut wie anderswo -- Menschen sind. So stark und dringend aber auch der Ruf zur Geselligkeit seyn möch- te, ohne die Mittel ihn zu befriedigen, würde der innere Zug und das äußere Verhältniß vergebens zu seinem Vortheile wirken. Eine, wenigstens bey den mehresten Klassen, allge- mein verbreitete Wohlhabenheit erleichtert den Petersburgern den vorzüglichsten Zweck ihres Treibens und Seyns: gesellschaftlichen Ge- nuß. Ohne diesen glücklichen Umstand würde die Tugend der Geselligkeit einer leblose
er oft die Quelle edler und menſchlicher Ge- fuͤhle und Handlungen wird. Es hieße jedoch zu viel gefordert, wenn man uͤberall, beym großen Haufen ſowol, als bey dem feinern und gebildetern Theile des Publikums jenes Motiv in aller Lauterkeit aufſuchen wollte. Leerheit des Kopfs und des Herzens, Unbe- kanntſchaft mit ſtillen geiſtigen Erholungen, Durſt nach Unterhaltung, das Vergnuͤgen zu ſehen und geſehen zu werden, die Abſicht Ver- bindungen zu ſtiften, der Hang zum Spiel und hundert andre edlere und niedrigere Zwecke treiben hier ſo gut wie anderswo die Menſchen zu einander, weil ſie hier ſo gut wie anderswo — Menſchen ſind. So ſtark und dringend aber auch der Ruf zur Geſelligkeit ſeyn moͤch- te, ohne die Mittel ihn zu befriedigen, wuͤrde der innere Zug und das aͤußere Verhaͤltniß vergebens zu ſeinem Vortheile wirken. Eine, wenigſtens bey den mehreſten Klaſſen, allge- mein verbreitete Wohlhabenheit erleichtert den Petersburgern den vorzuͤglichſten Zweck ihres Treibens und Seyns: geſellſchaftlichen Ge- nuß. Ohne dieſen gluͤcklichen Umſtand wuͤrde die Tugend der Geſelligkeit einer lebloſe
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er oft die Quelle edler und menſchlicher Ge-
fuͤhle und Handlungen wird. Es hieße jedoch
zu viel gefordert, wenn man uͤberall, beym
großen Haufen ſowol, als bey dem feinern
und gebildetern Theile des Publikums jenes
Motiv in aller Lauterkeit aufſuchen wollte.
Leerheit des Kopfs und des Herzens, Unbe-
kanntſchaft mit ſtillen geiſtigen Erholungen,
Durſt nach Unterhaltung, das Vergnuͤgen zu
ſehen und geſehen zu werden, die Abſicht Ver-
bindungen zu ſtiften, der Hang zum Spiel
und hundert andre edlere und niedrigere Zwecke
treiben hier ſo gut wie anderswo die Menſchen
zu einander, weil ſie hier ſo gut wie anderswo
— Menſchen ſind. So ſtark und dringend
aber auch der Ruf zur Geſelligkeit ſeyn moͤch-
te, ohne die Mittel ihn zu befriedigen, wuͤrde
der innere Zug und das aͤußere Verhaͤltniß
vergebens zu ſeinem Vortheile wirken. Eine,
wenigſtens bey den mehreſten Klaſſen, allge-
mein verbreitete Wohlhabenheit erleichtert den
Petersburgern den vorzuͤglichſten Zweck ihres
Treibens und Seyns: geſellſchaftlichen Ge-
nuß. Ohne dieſen gluͤcklichen Umſtand wuͤrde
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/436>, abgerufen am 23.11.2024.
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