und sieht dem allgemeinen Taumel mit Mit- leiden oder Verwunderung zu.
Ueber den Umfang der hiesigen Gastfrey- heit ist in diesem Buche schon vieles gesagt; hier ist der Ort, etwas über die Art, wie sie ausgeübt wird und über die Quelle derselben hinzuzufügen. Man kann dreist behaupten, daß diese edle Tugend der Vorzeit in keiner großen Stadt von Europa in so unbeschränk- tem Maaße ausgeübt wird, als hier; ein Zeugniß, welches durch die dankbare Beystim- mung aller Fremden, die sich hier eine kürzere oder längere Zeit aufgehalten haben, bewährt wird. Der Ursprung dieser wohlthätigen Sitte ist ohne Zweifel national; aber die Pe- tersburger haben sich von so vielen Gebräu- chen und Gewohnheiten ihres russischen Va- terlandes losgesagt, daß man mit Recht ein stärkeres Motiv, als die Achtung für das Her- kommen, annehmen muß, um sich die Beybe- haltung einer so kostspieligen Nationaltugend zu erklären. Dieses Motiv ist der Hang zur Geselligkeit, der die Petersburger, fast ohne Ausnahme, beherrscht; ein Karakterzug, der ihnen ebenfalls gar sehr zur Ehre gereicht, da
Zweiter Theil. D d
und ſieht dem allgemeinen Taumel mit Mit- leiden oder Verwunderung zu.
Ueber den Umfang der hieſigen Gaſtfrey- heit iſt in dieſem Buche ſchon vieles geſagt; hier iſt der Ort, etwas uͤber die Art, wie ſie ausgeuͤbt wird und uͤber die Quelle derſelben hinzuzufuͤgen. Man kann dreiſt behaupten, daß dieſe edle Tugend der Vorzeit in keiner großen Stadt von Europa in ſo unbeſchraͤnk- tem Maaße ausgeuͤbt wird, als hier; ein Zeugniß, welches durch die dankbare Beyſtim- mung aller Fremden, die ſich hier eine kuͤrzere oder laͤngere Zeit aufgehalten haben, bewaͤhrt wird. Der Urſprung dieſer wohlthaͤtigen Sitte iſt ohne Zweifel national; aber die Pe- tersburger haben ſich von ſo vielen Gebraͤu- chen und Gewohnheiten ihres ruſſiſchen Va- terlandes losgeſagt, daß man mit Recht ein ſtaͤrkeres Motiv, als die Achtung fuͤr das Her- kommen, annehmen muß, um ſich die Beybe- haltung einer ſo koſtſpieligen Nationaltugend zu erklaͤren. Dieſes Motiv iſt der Hang zur Geſelligkeit, der die Petersburger, faſt ohne Ausnahme, beherrſcht; ein Karakterzug, der ihnen ebenfalls gar ſehr zur Ehre gereicht, da
Zweiter Theil. D d
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0435"n="417"/>
und ſieht dem allgemeinen Taumel mit Mit-<lb/>
leiden oder Verwunderung zu.</p><lb/><p>Ueber den Umfang der hieſigen Gaſtfrey-<lb/>
heit iſt in dieſem Buche ſchon vieles geſagt;<lb/>
hier iſt der Ort, etwas uͤber die Art, wie ſie<lb/>
ausgeuͤbt wird und uͤber die Quelle derſelben<lb/>
hinzuzufuͤgen. Man kann dreiſt behaupten,<lb/>
daß dieſe edle Tugend der Vorzeit in keiner<lb/>
großen Stadt von Europa in ſo unbeſchraͤnk-<lb/>
tem Maaße ausgeuͤbt wird, als hier; ein<lb/>
Zeugniß, welches durch die dankbare Beyſtim-<lb/>
mung aller Fremden, die ſich hier eine kuͤrzere<lb/>
oder laͤngere Zeit aufgehalten haben, bewaͤhrt<lb/>
wird. Der Urſprung dieſer wohlthaͤtigen<lb/>
Sitte iſt ohne Zweifel national; aber die Pe-<lb/>
tersburger haben ſich von ſo vielen Gebraͤu-<lb/>
chen und Gewohnheiten ihres ruſſiſchen Va-<lb/>
terlandes losgeſagt, daß man mit Recht ein<lb/>ſtaͤrkeres Motiv, als die Achtung fuͤr das Her-<lb/>
kommen, annehmen muß, um ſich die Beybe-<lb/>
haltung einer ſo koſtſpieligen Nationaltugend<lb/>
zu erklaͤren. Dieſes Motiv iſt der Hang zur<lb/>
Geſelligkeit, der die Petersburger, faſt ohne<lb/>
Ausnahme, beherrſcht; ein Karakterzug, der<lb/>
ihnen ebenfalls gar ſehr zur Ehre gereicht, da<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Zweiter Theil. D d</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[417/0435]
und ſieht dem allgemeinen Taumel mit Mit-
leiden oder Verwunderung zu.
Ueber den Umfang der hieſigen Gaſtfrey-
heit iſt in dieſem Buche ſchon vieles geſagt;
hier iſt der Ort, etwas uͤber die Art, wie ſie
ausgeuͤbt wird und uͤber die Quelle derſelben
hinzuzufuͤgen. Man kann dreiſt behaupten,
daß dieſe edle Tugend der Vorzeit in keiner
großen Stadt von Europa in ſo unbeſchraͤnk-
tem Maaße ausgeuͤbt wird, als hier; ein
Zeugniß, welches durch die dankbare Beyſtim-
mung aller Fremden, die ſich hier eine kuͤrzere
oder laͤngere Zeit aufgehalten haben, bewaͤhrt
wird. Der Urſprung dieſer wohlthaͤtigen
Sitte iſt ohne Zweifel national; aber die Pe-
tersburger haben ſich von ſo vielen Gebraͤu-
chen und Gewohnheiten ihres ruſſiſchen Va-
terlandes losgeſagt, daß man mit Recht ein
ſtaͤrkeres Motiv, als die Achtung fuͤr das Her-
kommen, annehmen muß, um ſich die Beybe-
haltung einer ſo koſtſpieligen Nationaltugend
zu erklaͤren. Dieſes Motiv iſt der Hang zur
Geſelligkeit, der die Petersburger, faſt ohne
Ausnahme, beherrſcht; ein Karakterzug, der
ihnen ebenfalls gar ſehr zur Ehre gereicht, da
Zweiter Theil. D d
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/435>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.