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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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In russischen Häusern wird sehr auf die Menge
der Speisen gesehen; an den Tafeln der Aus-
länder findet man deren wenigere, aber die
Auswahl ist desto sorgfältiger. Der Gebrauch,
zu jeder Zeit ungebetne Gäste aufzunehmen,
zwingt jede Wirthinn sich auf einige Kouverts
mehr gefaßt zu machen. -- Kurz vor Tische
wird allezeit das sogenannte Schälchen *)
herumgereicht; in vielen, besonders russischen
Häusern findet man eine besondere Vorkost
dabey, die in kalten, salzigen und sauren Spei-
sen besteht, und wovon Jeder im Herumge-
hen etwas genießt, um den Appetit zu reizen
und die Zwischenzeit auszufüllen. -- Das ge-
wöhnliche Getränk bey Tische ist Wein; ohne
diesen kann man schlechterdings Niemanden
bey sich aufnehmen, und sein Verbrauch ist
hier so allgemein, als in den Weinländern
selbst. In vielen guten Häusern wird nur
Eine Sorte aufgetragen; hin und wieder, wo
man den Ton der Vornehmern nachahmt, fol-
gen gegen das Ende der Mahlzeit feinere

*) Ein Gläschen Branntewein, Liqueur oder Bischoff.
Hier französisch la challe.

In ruſſiſchen Haͤuſern wird ſehr auf die Menge
der Speiſen geſehen; an den Tafeln der Aus-
laͤnder findet man deren wenigere, aber die
Auswahl iſt deſto ſorgfaͤltiger. Der Gebrauch,
zu jeder Zeit ungebetne Gaͤſte aufzunehmen,
zwingt jede Wirthinn ſich auf einige Kouverts
mehr gefaßt zu machen. — Kurz vor Tiſche
wird allezeit das ſogenannte Schaͤlchen *)
herumgereicht; in vielen, beſonders ruſſiſchen
Haͤuſern findet man eine beſondere Vorkoſt
dabey, die in kalten, ſalzigen und ſauren Spei-
ſen beſteht, und wovon Jeder im Herumge-
hen etwas genießt, um den Appetit zu reizen
und die Zwiſchenzeit auszufuͤllen. — Das ge-
woͤhnliche Getraͤnk bey Tiſche iſt Wein; ohne
dieſen kann man ſchlechterdings Niemanden
bey ſich aufnehmen, und ſein Verbrauch iſt
hier ſo allgemein, als in den Weinlaͤndern
ſelbſt. In vielen guten Haͤuſern wird nur
Eine Sorte aufgetragen; hin und wieder, wo
man den Ton der Vornehmern nachahmt, fol-
gen gegen das Ende der Mahlzeit feinere

*) Ein Gläschen Branntewein, Liqueur oder Biſchoff.
Hier franzöſiſch la challe.
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[397/0415] In ruſſiſchen Haͤuſern wird ſehr auf die Menge der Speiſen geſehen; an den Tafeln der Aus- laͤnder findet man deren wenigere, aber die Auswahl iſt deſto ſorgfaͤltiger. Der Gebrauch, zu jeder Zeit ungebetne Gaͤſte aufzunehmen, zwingt jede Wirthinn ſich auf einige Kouverts mehr gefaßt zu machen. — Kurz vor Tiſche wird allezeit das ſogenannte Schaͤlchen *) herumgereicht; in vielen, beſonders ruſſiſchen Haͤuſern findet man eine beſondere Vorkoſt dabey, die in kalten, ſalzigen und ſauren Spei- ſen beſteht, und wovon Jeder im Herumge- hen etwas genießt, um den Appetit zu reizen und die Zwiſchenzeit auszufuͤllen. — Das ge- woͤhnliche Getraͤnk bey Tiſche iſt Wein; ohne dieſen kann man ſchlechterdings Niemanden bey ſich aufnehmen, und ſein Verbrauch iſt hier ſo allgemein, als in den Weinlaͤndern ſelbſt. In vielen guten Haͤuſern wird nur Eine Sorte aufgetragen; hin und wieder, wo man den Ton der Vornehmern nachahmt, fol- gen gegen das Ende der Mahlzeit feinere *) Ein Gläschen Branntewein, Liqueur oder Biſchoff. Hier franzöſiſch la challe.

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/415>, abgerufen am 19.05.2024.