Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Herren dieser Welt
sind auch nur Sterbliche;
sie nähren Leidenschaften
trotz ihrer Diademe;
auch ihre Herzen werden
durch Schmeicheley vergiftet.
Doch welcher Dichter wäre
nicht immer auch ein Schmeichler?
O singe nicht der Tugend
so laut Syrenenlieder;
bedarf doch keines Lobes
der ächte Biedermann.
Der Edle der mit Eifer
stets seine Pflicht erfüllet,
bringt mehr dem König Ehre,
als aller Dichter Lob.
Wirf weg die Nektarschale,
denn sie verbirgt nur Gift!"

Wer schläget mich so kühn
durch starke Worte nieder?
Wer? Göttinn? -- Priesterinn? --
So fragt' ich die Gestalt
wie Schatten vor mir schwebend.
Sie sprach: "ich bin Felize."
Sie sprachs und eine Wolke
verhüllte meinen Augen,

Die Herren dieſer Welt
ſind auch nur Sterbliche;
ſie naͤhren Leidenſchaften
trotz ihrer Diademe;
auch ihre Herzen werden
durch Schmeicheley vergiftet.
Doch welcher Dichter waͤre
nicht immer auch ein Schmeichler?
O ſinge nicht der Tugend
ſo laut Syrenenlieder;
bedarf doch keines Lobes
der aͤchte Biedermann.
Der Edle der mit Eifer
ſtets ſeine Pflicht erfuͤllet,
bringt mehr dem Koͤnig Ehre,
als aller Dichter Lob.
Wirf weg die Nektarſchale,
denn ſie verbirgt nur Gift!“

Wer ſchlaͤget mich ſo kuͤhn
durch ſtarke Worte nieder?
Wer? Goͤttinn? — Prieſterinn? —
So fragt’ ich die Geſtalt
wie Schatten vor mir ſchwebend.
Sie ſprach: „ich bin Felize.“
Sie ſprachs und eine Wolke
verhuͤllte meinen Augen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="3">
              <pb facs="#f0254" n="238"/>
              <l>Die Herren die&#x017F;er Welt</l><lb/>
              <l>&#x017F;ind auch nur Sterbliche;</l><lb/>
              <l>&#x017F;ie na&#x0364;hren Leiden&#x017F;chaften</l><lb/>
              <l>trotz ihrer Diademe;</l><lb/>
              <l>auch ihre Herzen werden</l><lb/>
              <l>durch Schmeicheley vergiftet.</l><lb/>
              <l>Doch welcher Dichter wa&#x0364;re</l><lb/>
              <l>nicht immer auch ein Schmeichler?</l><lb/>
              <l>O &#x017F;inge nicht der Tugend</l><lb/>
              <l>&#x017F;o laut Syrenenlieder;</l><lb/>
              <l>bedarf doch keines Lobes</l><lb/>
              <l>der a&#x0364;chte Biedermann.</l><lb/>
              <l>Der Edle der mit Eifer</l><lb/>
              <l>&#x017F;tets &#x017F;eine Pflicht erfu&#x0364;llet,</l><lb/>
              <l>bringt mehr dem Ko&#x0364;nig Ehre,</l><lb/>
              <l>als aller Dichter Lob.</l><lb/>
              <l>Wirf weg die Nektar&#x017F;chale,</l><lb/>
              <l>denn &#x017F;ie verbirgt nur Gift!&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Wer &#x017F;chla&#x0364;get mich &#x017F;o ku&#x0364;hn</l><lb/>
              <l>durch &#x017F;tarke Worte nieder?</l><lb/>
              <l>Wer? Go&#x0364;ttinn? &#x2014; Prie&#x017F;terinn? &#x2014;</l><lb/>
              <l>So fragt&#x2019; ich die Ge&#x017F;talt</l><lb/>
              <l>wie Schatten vor mir &#x017F;chwebend.</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;prach: &#x201E;ich bin Felize.&#x201C;</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;prachs und eine Wolke</l><lb/>
              <l>verhu&#x0364;llte meinen Augen,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0254] Die Herren dieſer Welt ſind auch nur Sterbliche; ſie naͤhren Leidenſchaften trotz ihrer Diademe; auch ihre Herzen werden durch Schmeicheley vergiftet. Doch welcher Dichter waͤre nicht immer auch ein Schmeichler? O ſinge nicht der Tugend ſo laut Syrenenlieder; bedarf doch keines Lobes der aͤchte Biedermann. Der Edle der mit Eifer ſtets ſeine Pflicht erfuͤllet, bringt mehr dem Koͤnig Ehre, als aller Dichter Lob. Wirf weg die Nektarſchale, denn ſie verbirgt nur Gift!“ Wer ſchlaͤget mich ſo kuͤhn durch ſtarke Worte nieder? Wer? Goͤttinn? — Prieſterinn? — So fragt’ ich die Geſtalt wie Schatten vor mir ſchwebend. Sie ſprach: „ich bin Felize.“ Sie ſprachs und eine Wolke verhuͤllte meinen Augen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/254
Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/254>, abgerufen am 11.05.2024.