Das männliche Geschlecht ist nicht nur im Ganzen schöner als das weibliche, sondern je- nes nähert sich in einzelnen Bildungen mehr dem Ideal der schönen Menschenform. Unter den Offizieren der Garden, häusiger aber noch unter dem Landvolk, welches aus den Provin- zen hierher kömmt, giebt es manchen Kopf, der das Gegenstück zum Antinous machen könnte. In Deutschland, wo das allgemeine Urtheil über körperliche Schönheit nicht sehr von dem hiesigen abweicht, bin ich oft Zeuge von dem Beyfall gewesen, welchen die Damen reisenden Russen in dieser Hinsicht bewilligten. Ueberhaupt aber verlieren sich die schönen Um- risse hier sehr früh, weil Männer sowol als Weiber aus mehreren Ursachen zum Fettwer- den geneigt sind. -- Bemerkungen über die Physiognomie werden meine Leser hier nicht erwarten; denn wenn es ausgezeichnete eigenthümliche Züge in der menschlichen Ge- sichtsbildung giebt, so sind die allgemeinen Uebereinstimmungen derselben doch wol nur bey ganzen Nationen zu suchen, und es würde zum mindesten pedantisch seyn, unter einer so klei- nen und so äußerst vermischten Menschenge-
Das maͤnnliche Geſchlecht iſt nicht nur im Ganzen ſchoͤner als das weibliche, ſondern je- nes naͤhert ſich in einzelnen Bildungen mehr dem Ideal der ſchoͤnen Menſchenform. Unter den Offizieren der Garden, haͤuſiger aber noch unter dem Landvolk, welches aus den Provin- zen hierher koͤmmt, giebt es manchen Kopf, der das Gegenſtuͤck zum Antinous machen koͤnnte. In Deutſchland, wo das allgemeine Urtheil uͤber koͤrperliche Schoͤnheit nicht ſehr von dem hieſigen abweicht, bin ich oft Zeuge von dem Beyfall geweſen, welchen die Damen reiſenden Ruſſen in dieſer Hinſicht bewilligten. Ueberhaupt aber verlieren ſich die ſchoͤnen Um- riſſe hier ſehr fruͤh, weil Maͤnner ſowol als Weiber aus mehreren Urſachen zum Fettwer- den geneigt ſind. — Bemerkungen uͤber die Phyſiognomie werden meine Leſer hier nicht erwarten; denn wenn es ausgezeichnete eigenthuͤmliche Zuͤge in der menſchlichen Ge- ſichtsbildung giebt, ſo ſind die allgemeinen Uebereinſtimmungen derſelben doch wol nur bey ganzen Nationen zu ſuchen, und es wuͤrde zum mindeſten pedantiſch ſeyn, unter einer ſo klei- nen und ſo aͤußerſt vermiſchten Menſchenge-
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Das maͤnnliche Geſchlecht iſt nicht nur im
Ganzen ſchoͤner als das weibliche, ſondern je-
nes naͤhert ſich in einzelnen Bildungen mehr
dem Ideal der ſchoͤnen Menſchenform. Unter
den Offizieren der Garden, haͤuſiger aber noch
unter dem Landvolk, welches aus den Provin-
zen hierher koͤmmt, giebt es manchen Kopf,
der das Gegenſtuͤck zum Antinous machen
koͤnnte. In Deutſchland, wo das allgemeine
Urtheil uͤber koͤrperliche Schoͤnheit nicht ſehr
von dem hieſigen abweicht, bin ich oft Zeuge
von dem Beyfall geweſen, welchen die Damen
reiſenden Ruſſen in dieſer Hinſicht bewilligten.
Ueberhaupt aber verlieren ſich die ſchoͤnen Um-
riſſe hier ſehr fruͤh, weil Maͤnner ſowol als
Weiber aus mehreren Urſachen zum Fettwer-
den geneigt ſind. — Bemerkungen uͤber die
Phyſiognomie werden meine Leſer hier
nicht erwarten; denn wenn es ausgezeichnete
eigenthuͤmliche Zuͤge in der menſchlichen Ge-
ſichtsbildung giebt, ſo ſind die allgemeinen
Uebereinſtimmungen derſelben doch wol nur bey
ganzen Nationen zu ſuchen, und es wuͤrde zum
mindeſten pedantiſch ſeyn, unter einer ſo klei-
nen und ſo aͤußerſt vermiſchten Menſchenge-
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/159>, abgerufen am 24.11.2024.
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