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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

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Vorzüge wegen, einen Wettstreit mit den He-
ben des Alterthums zu beginnen. Dieser Ge-
schmack ist so festgesetzt und so allgemein, daß
in der russischen Sprache die Begriffe roth,
schön
und Farbe nur Eine Bezeichnung ha-
ben, und es ist daher auch unsern Damen
von hohem und niederm Range nicht zu ver-
übeln, wenn sie der Natur nachzuhelfen su-
chen, wo sie etwa in der Austheilung dieser
Gaben kärglich gegen sie verfahren seyn sollte.
In allen großen Städten, die ich kenne, ge-
hört die Schminke zum guten Ton; hier aber
ist sie mehr, denn hier schminkt sich das Bau-
ernmädchen so gut als die Gräfinn, nicht um
die Mode mitzumachen, sondern um schön zu
seyn. Wer sie so malen könnte die russischen
Kaufmannsweiber, wie sie die Last ihrer wohl-
gepflegten, blendendweißen und getuschten Fleisch-
massen langsam fortwälzen --! doch

man kennt aus Gabalis glaubwürdigen Verichten
die Reize der Ondinen schon:
auch Rubens liebte sie um Amphitritens Thron
in großen Gruppen aufzuschichten,
so wohlgenährt, so üppig und, mit Züchten,
so nackt, daß einem Mann davon
die Augen übergehn. Wir sollten also denken,
ihr könntet uns die Müh, ihn zu kopiren, schenken.

Vorzuͤge wegen, einen Wettſtreit mit den He-
ben des Alterthums zu beginnen. Dieſer Ge-
ſchmack iſt ſo feſtgeſetzt und ſo allgemein, daß
in der ruſſiſchen Sprache die Begriffe roth,
ſchoͤn
und Farbe nur Eine Bezeichnung ha-
ben, und es iſt daher auch unſern Damen
von hohem und niederm Range nicht zu ver-
uͤbeln, wenn ſie der Natur nachzuhelfen ſu-
chen, wo ſie etwa in der Austheilung dieſer
Gaben kaͤrglich gegen ſie verfahren ſeyn ſollte.
In allen großen Staͤdten, die ich kenne, ge-
hoͤrt die Schminke zum guten Ton; hier aber
iſt ſie mehr, denn hier ſchminkt ſich das Bau-
ernmaͤdchen ſo gut als die Graͤfinn, nicht um
die Mode mitzumachen, ſondern um ſchoͤn zu
ſeyn. Wer ſie ſo malen koͤnnte die ruſſiſchen
Kaufmannsweiber, wie ſie die Laſt ihrer wohl-
gepflegten, blendendweißen und getuſchten Fleiſch-
maſſen langſam fortwaͤlzen —! doch

man kennt aus Gabalis glaubwuͤrdigen Verichten
die Reize der Ondinen ſchon:
auch Rubens liebte ſie um Amphitritens Thron
in großen Gruppen aufzuſchichten,
ſo wohlgenaͤhrt, ſo uͤppig und, mit Zuͤchten,
ſo nackt, daß einem Mann davon
die Augen uͤbergehn. Wir ſollten alſo denken,
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[124/0158] Vorzuͤge wegen, einen Wettſtreit mit den He- ben des Alterthums zu beginnen. Dieſer Ge- ſchmack iſt ſo feſtgeſetzt und ſo allgemein, daß in der ruſſiſchen Sprache die Begriffe roth, ſchoͤn und Farbe nur Eine Bezeichnung ha- ben, und es iſt daher auch unſern Damen von hohem und niederm Range nicht zu ver- uͤbeln, wenn ſie der Natur nachzuhelfen ſu- chen, wo ſie etwa in der Austheilung dieſer Gaben kaͤrglich gegen ſie verfahren ſeyn ſollte. In allen großen Staͤdten, die ich kenne, ge- hoͤrt die Schminke zum guten Ton; hier aber iſt ſie mehr, denn hier ſchminkt ſich das Bau- ernmaͤdchen ſo gut als die Graͤfinn, nicht um die Mode mitzumachen, ſondern um ſchoͤn zu ſeyn. Wer ſie ſo malen koͤnnte die ruſſiſchen Kaufmannsweiber, wie ſie die Laſt ihrer wohl- gepflegten, blendendweißen und getuſchten Fleiſch- maſſen langſam fortwaͤlzen —! doch man kennt aus Gabalis glaubwuͤrdigen Verichten die Reize der Ondinen ſchon: auch Rubens liebte ſie um Amphitritens Thron in großen Gruppen aufzuſchichten, ſo wohlgenaͤhrt, ſo uͤppig und, mit Zuͤchten, ſo nackt, daß einem Mann davon die Augen uͤbergehn. Wir ſollten alſo denken, ihr koͤnntet uns die Muͤh, ihn zu kopiren, ſchenken.

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/158>, abgerufen am 24.11.2024.