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Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844.

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nungen, wozu sich später ein sehr zu entschuldigender Eigennutz oder
Sorge für das Unterkommen der Gesellen verband. Nach jenen
sehr bekannten Gesetzen betrachteten die Gesellen den Ehestand
eines ihrer Mitarbeiter als Folge der Uebertretung desselben, und
in politischer Hinsicht als Hinderniß ihres Fortkommens und
Beschränkung ihrer Freiheit. Diese Freiheit, obgleich dem Wort
nach sich nicht klar bewußt, sollte jeder Einzelne der gesammten
weit verzweigten Brüderschaft bewahren *), sie hielten sie gefährdet,
wenn einer sich in Verhältnisse versetzte, welche seinen Willen
und unbedingte Theilnahme an dem Gemeinwohl der Brüder-
schaft beschränken konnten. Dies war nun freilich der Fall bei
den verehelichten Genossen, deren ganze Subsistenz in den Hän-
den der Meister lag und einer weitern Ausführung nicht bedarf.
Diejenigen, welche für Stücklohn arbeiteten, hegten den Ver-
dacht, daß man jenen vortheilhaftere Bedingungen zugestehe, oder
solche Gegenstände zutheile, welche besonders gut förderten; die
Wandergesellen, daß ihnen ihr Unterkommen erschwert werde, in-
dem die verehelichten die Stadt nicht mehr verließen. Der nächste
Druck, den diese Unduldsamkeit erzeugte, war, daß die Brüder-
schaft ihnen keinen Antheil an der Krankenkasse zugestehen, andere
sie gar nicht neben sich in der Werkstatt dulden wollten, z. B.
die Schlosser in Magdeburg. Die Sache von rein menschlicher
Ansicht genommen, machten die Gesellen sich einer Härte schul-
dig, die leicht die nachtheiligsten Folgen auf das Gemüth eines
solchen Ehemanns haben konnte, aber sie führt gleichwohl zu sehr
ernsten Betrachtuugen über die ehelichen Verbindungen der
Handwerksgehülfen, die Bauhandwerker allenfalls ausgenommen,
ohne Rücksicht auf Zünfte oder Gewerbefreiheit.

Die Ehe bleibt an sich, bei allen äußern Vortheilen, welche
unsere Stellung in der Gesellschaft uns verspricht, selbst bei hin-
länglichem Capitalbesitz, der die Verbindung begünstiget, ein mo-
ralisches Wagstück; wo aber die bürgerliche Stellung des Ehe-
mannes und sein Erwerb nur auf auflöslichen Contracten und
auf geringem Lohn basirt, was bei den Handwerksgehülfen ganz
besonders der Fall ist, da wird sie gewöhnlich das erste Glied
einer langen Kette moralischer und physischer Leiden. Immer
wiederkehrende Noth, unaufhörliche Sorgen, drücken dann auch
das beste Herz nieder, es verkümmert oder verwildert unter zu-
nehmenden Drangsalen und bei der immer mehr schwindenden
Hoffnung, jemals selbstständig sich bewegen zu können. Da ist

*) Handwerksgewohnheit stärken und nicht schwächen.

nungen, wozu ſich ſpäter ein ſehr zu entſchuldigender Eigennutz oder
Sorge für das Unterkommen der Geſellen verband. Nach jenen
ſehr bekannten Geſetzen betrachteten die Geſellen den Eheſtand
eines ihrer Mitarbeiter als Folge der Uebertretung deſſelben, und
in politiſcher Hinſicht als Hinderniß ihres Fortkommens und
Beſchränkung ihrer Freiheit. Dieſe Freiheit, obgleich dem Wort
nach ſich nicht klar bewußt, ſollte jeder Einzelne der geſammten
weit verzweigten Brüderſchaft bewahren *), ſie hielten ſie gefährdet,
wenn einer ſich in Verhältniſſe verſetzte, welche ſeinen Willen
und unbedingte Theilnahme an dem Gemeinwohl der Brüder-
ſchaft beſchränken konnten. Dies war nun freilich der Fall bei
den verehelichten Genoſſen, deren ganze Subſiſtenz in den Hän-
den der Meiſter lag und einer weitern Ausführung nicht bedarf.
Diejenigen, welche für Stücklohn arbeiteten, hegten den Ver-
dacht, daß man jenen vortheilhaftere Bedingungen zugeſtehe, oder
ſolche Gegenſtände zutheile, welche beſonders gut förderten; die
Wandergeſellen, daß ihnen ihr Unterkommen erſchwert werde, in-
dem die verehelichten die Stadt nicht mehr verließen. Der nächſte
Druck, den dieſe Unduldſamkeit erzeugte, war, daß die Brüder-
ſchaft ihnen keinen Antheil an der Krankenkaſſe zugeſtehen, andere
ſie gar nicht neben ſich in der Werkſtatt dulden wollten, z. B.
die Schloſſer in Magdeburg. Die Sache von rein menſchlicher
Anſicht genommen, machten die Geſellen ſich einer Härte ſchul-
dig, die leicht die nachtheiligſten Folgen auf das Gemüth eines
ſolchen Ehemanns haben konnte, aber ſie führt gleichwohl zu ſehr
ernſten Betrachtuugen über die ehelichen Verbindungen der
Handwerksgehülfen, die Bauhandwerker allenfalls ausgenommen,
ohne Rückſicht auf Zünfte oder Gewerbefreiheit.

Die Ehe bleibt an ſich, bei allen äußern Vortheilen, welche
unſere Stellung in der Geſellſchaft uns verſpricht, ſelbſt bei hin-
länglichem Capitalbeſitz, der die Verbindung begünſtiget, ein mo-
raliſches Wagſtück; wo aber die bürgerliche Stellung des Ehe-
mannes und ſein Erwerb nur auf auflöslichen Contracten und
auf geringem Lohn baſirt, was bei den Handwerksgehülfen ganz
beſonders der Fall iſt, da wird ſie gewöhnlich das erſte Glied
einer langen Kette moraliſcher und phyſiſcher Leiden. Immer
wiederkehrende Noth, unaufhörliche Sorgen, drücken dann auch
das beſte Herz nieder, es verkümmert oder verwildert unter zu-
nehmenden Drangſalen und bei der immer mehr ſchwindenden
Hoffnung, jemals ſelbſtſtändig ſich bewegen zu können. Da iſt

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[110/0120] nungen, wozu ſich ſpäter ein ſehr zu entſchuldigender Eigennutz oder Sorge für das Unterkommen der Geſellen verband. Nach jenen ſehr bekannten Geſetzen betrachteten die Geſellen den Eheſtand eines ihrer Mitarbeiter als Folge der Uebertretung deſſelben, und in politiſcher Hinſicht als Hinderniß ihres Fortkommens und Beſchränkung ihrer Freiheit. Dieſe Freiheit, obgleich dem Wort nach ſich nicht klar bewußt, ſollte jeder Einzelne der geſammten weit verzweigten Brüderſchaft bewahren *), ſie hielten ſie gefährdet, wenn einer ſich in Verhältniſſe verſetzte, welche ſeinen Willen und unbedingte Theilnahme an dem Gemeinwohl der Brüder- ſchaft beſchränken konnten. Dies war nun freilich der Fall bei den verehelichten Genoſſen, deren ganze Subſiſtenz in den Hän- den der Meiſter lag und einer weitern Ausführung nicht bedarf. Diejenigen, welche für Stücklohn arbeiteten, hegten den Ver- dacht, daß man jenen vortheilhaftere Bedingungen zugeſtehe, oder ſolche Gegenſtände zutheile, welche beſonders gut förderten; die Wandergeſellen, daß ihnen ihr Unterkommen erſchwert werde, in- dem die verehelichten die Stadt nicht mehr verließen. Der nächſte Druck, den dieſe Unduldſamkeit erzeugte, war, daß die Brüder- ſchaft ihnen keinen Antheil an der Krankenkaſſe zugeſtehen, andere ſie gar nicht neben ſich in der Werkſtatt dulden wollten, z. B. die Schloſſer in Magdeburg. Die Sache von rein menſchlicher Anſicht genommen, machten die Geſellen ſich einer Härte ſchul- dig, die leicht die nachtheiligſten Folgen auf das Gemüth eines ſolchen Ehemanns haben konnte, aber ſie führt gleichwohl zu ſehr ernſten Betrachtuugen über die ehelichen Verbindungen der Handwerksgehülfen, die Bauhandwerker allenfalls ausgenommen, ohne Rückſicht auf Zünfte oder Gewerbefreiheit. Die Ehe bleibt an ſich, bei allen äußern Vortheilen, welche unſere Stellung in der Geſellſchaft uns verſpricht, ſelbſt bei hin- länglichem Capitalbeſitz, der die Verbindung begünſtiget, ein mo- raliſches Wagſtück; wo aber die bürgerliche Stellung des Ehe- mannes und ſein Erwerb nur auf auflöslichen Contracten und auf geringem Lohn baſirt, was bei den Handwerksgehülfen ganz beſonders der Fall iſt, da wird ſie gewöhnlich das erſte Glied einer langen Kette moraliſcher und phyſiſcher Leiden. Immer wiederkehrende Noth, unaufhörliche Sorgen, drücken dann auch das beſte Herz nieder, es verkümmert oder verwildert unter zu- nehmenden Drangſalen und bei der immer mehr ſchwindenden Hoffnung, jemals ſelbſtſtändig ſich bewegen zu können. Da iſt *) Handwerksgewohnheit ſtärken und nicht ſchwächen.

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Zitationshilfe: Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stock_gesellenwesen_1844/120>, abgerufen am 23.11.2024.