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Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844.

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Wie tief dieser unglückselige Gebrauch bei den Gesellen-Brü-
derschaften Wurzel geschlagen hatte, und in welcher lästigen Ab-
hängigkeit die Meister dadurch erhalten wurden, sehen wir noch
im Jahre 1799, wo die Schlossergesellen in Frankfurt a. M.
sämmtlich aus der Stadt zogen, weil man ihnen das gewöhn-
liche Frühstück nicht um einen Kreuzer erhöhen wollte. *) Vor-
her hatten sie, wie in der ältesten Zeit, Abmahnungs- und Droh-
briefe an die Brüderschaften in Cassel, Berlin, Hamburg, Copen-
hagen u. m. a. Orten erlassen, worin sie die Gesellen für
unredlich erklärten
, welche in Frankfurt Arbeit nehmen
würden.

Minder nachtheilig für die Meister und das betreffende Pu-
blikum war zwar das einseitige Schelten der Gesellen unter sich,
aber doch höchst gefährlich für die Ruhe, ja sogar für die persön-
liche Sicherheit der einzelnen Genossen, die es betraf. Dieser
Verruf konnte eintreten, wenn ein Gesell die Ansichten seines un-
zufriedenen Mitarbeiters in der Werkstatt, bei dessen persönlichem
Zwist auf der Herberge, oder sonst wo, nicht theilen wollte,
wie das so oft im Leben und in allen Ständen vorkommen
kann; im Trunk, besonders bei der Schenke zum Thor hinaus,
auch wenn einer von einem allgemeinen Aufstande sich ausschloß,
oder heimlich bei einem gescholtenen Meister arbeitete, wenn er
einen Wandergesellen angeblich nicht gut bewirthet hatte, endlich
bei dem Tanz, wenn einer das Mädchen des andern verachtete,
oder vorzugsweise mit ihm tanzen wollte; kurz, nach allen ähn-
lichen Vorfällen, wie sie jungen Leuten in allen Ständen begeg-
nen und Zweikampf oder Prozesse herbeiführen können. Ge-
wöhnlich erklärten sie sich gegenseitig für schlecht, und nun durfte
keiner meben dem Gescholtenen arbeiten, bis seine Händel ausge-
glichen waren, was denn wohl durch verständige Altgesellen ge-
schah. Die Sache wurde jedoch schlimmer, wenn die streitenden
Gesellem in aufgeregter Leidenschaft die Stadt in verschiedenen
Richtumgen verließen und ihre Ansichten und den Verruf in meh-
rere Sttädte und Länder trugen.

Dem Verruf ähnlich und unter Umständen recht drückend,
konnte wie Unduldsamkeit gegen beweibte Gesellen werden **); sie
originirtt unbezweifelt aus den strengen Keuschheitsgesetzen der In-

*) Prrov.-Archiv in Magdeburg.
**) Naich Lambrechts Cameral-Wissenschaft, Berlin 1797, Seite 143,
verrlangten die Gesellen, daß die beweibten den letzten Stuhl oder
Pllatz in der Werkstatt einnehmen sollten.
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Wie tief dieſer unglückſelige Gebrauch bei den Geſellen-Brü-
derſchaften Wurzel geſchlagen hatte, und in welcher läſtigen Ab-
hängigkeit die Meiſter dadurch erhalten wurden, ſehen wir noch
im Jahre 1799, wo die Schloſſergeſellen in Frankfurt a. M.
ſämmtlich aus der Stadt zogen, weil man ihnen das gewöhn-
liche Frühſtück nicht um einen Kreuzer erhöhen wollte. *) Vor-
her hatten ſie, wie in der älteſten Zeit, Abmahnungs- und Droh-
briefe an die Brüderſchaften in Caſſel, Berlin, Hamburg, Copen-
hagen u. m. a. Orten erlaſſen, worin ſie die Geſellen für
unredlich erklärten
, welche in Frankfurt Arbeit nehmen
würden.

Minder nachtheilig für die Meiſter und das betreffende Pu-
blikum war zwar das einſeitige Schelten der Geſellen unter ſich,
aber doch höchſt gefährlich für die Ruhe, ja ſogar für die perſön-
liche Sicherheit der einzelnen Genoſſen, die es betraf. Dieſer
Verruf konnte eintreten, wenn ein Geſell die Anſichten ſeines un-
zufriedenen Mitarbeiters in der Werkſtatt, bei deſſen perſönlichem
Zwiſt auf der Herberge, oder ſonſt wo, nicht theilen wollte,
wie das ſo oft im Leben und in allen Ständen vorkommen
kann; im Trunk, beſonders bei der Schenke zum Thor hinaus,
auch wenn einer von einem allgemeinen Aufſtande ſich ausſchloß,
oder heimlich bei einem geſcholtenen Meiſter arbeitete, wenn er
einen Wandergeſellen angeblich nicht gut bewirthet hatte, endlich
bei dem Tanz, wenn einer das Mädchen des andern verachtete,
oder vorzugsweiſe mit ihm tanzen wollte; kurz, nach allen ähn-
lichen Vorfällen, wie ſie jungen Leuten in allen Ständen begeg-
nen und Zweikampf oder Prozeſſe herbeiführen können. Ge-
wöhnlich erklärten ſie ſich gegenſeitig für ſchlecht, und nun durfte
keiner meben dem Geſcholtenen arbeiten, bis ſeine Händel ausge-
glichen waren, was denn wohl durch verſtändige Altgeſellen ge-
ſchah. Die Sache wurde jedoch ſchlimmer, wenn die ſtreitenden
Geſellem in aufgeregter Leidenſchaft die Stadt in verſchiedenen
Richtumgen verließen und ihre Anſichten und den Verruf in meh-
rere Sttädte und Länder trugen.

Dem Verruf ähnlich und unter Umſtänden recht drückend,
konnte wie Unduldſamkeit gegen beweibte Geſellen werden **); ſie
originirtt unbezweifelt aus den ſtrengen Keuſchheitsgeſetzen der In-

*) Prrov.-Archiv in Magdeburg.
**) Naich Lambrechts Cameral-Wiſſenſchaft, Berlin 1797, Seite 143,
verrlangten die Geſellen, daß die beweibten den letzten Stuhl oder
Pllatz in der Werkſtatt einnehmen ſollten.
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[109/0119] Wie tief dieſer unglückſelige Gebrauch bei den Geſellen-Brü- derſchaften Wurzel geſchlagen hatte, und in welcher läſtigen Ab- hängigkeit die Meiſter dadurch erhalten wurden, ſehen wir noch im Jahre 1799, wo die Schloſſergeſellen in Frankfurt a. M. ſämmtlich aus der Stadt zogen, weil man ihnen das gewöhn- liche Frühſtück nicht um einen Kreuzer erhöhen wollte. *) Vor- her hatten ſie, wie in der älteſten Zeit, Abmahnungs- und Droh- briefe an die Brüderſchaften in Caſſel, Berlin, Hamburg, Copen- hagen u. m. a. Orten erlaſſen, worin ſie die Geſellen für unredlich erklärten, welche in Frankfurt Arbeit nehmen würden. Minder nachtheilig für die Meiſter und das betreffende Pu- blikum war zwar das einſeitige Schelten der Geſellen unter ſich, aber doch höchſt gefährlich für die Ruhe, ja ſogar für die perſön- liche Sicherheit der einzelnen Genoſſen, die es betraf. Dieſer Verruf konnte eintreten, wenn ein Geſell die Anſichten ſeines un- zufriedenen Mitarbeiters in der Werkſtatt, bei deſſen perſönlichem Zwiſt auf der Herberge, oder ſonſt wo, nicht theilen wollte, wie das ſo oft im Leben und in allen Ständen vorkommen kann; im Trunk, beſonders bei der Schenke zum Thor hinaus, auch wenn einer von einem allgemeinen Aufſtande ſich ausſchloß, oder heimlich bei einem geſcholtenen Meiſter arbeitete, wenn er einen Wandergeſellen angeblich nicht gut bewirthet hatte, endlich bei dem Tanz, wenn einer das Mädchen des andern verachtete, oder vorzugsweiſe mit ihm tanzen wollte; kurz, nach allen ähn- lichen Vorfällen, wie ſie jungen Leuten in allen Ständen begeg- nen und Zweikampf oder Prozeſſe herbeiführen können. Ge- wöhnlich erklärten ſie ſich gegenſeitig für ſchlecht, und nun durfte keiner meben dem Geſcholtenen arbeiten, bis ſeine Händel ausge- glichen waren, was denn wohl durch verſtändige Altgeſellen ge- ſchah. Die Sache wurde jedoch ſchlimmer, wenn die ſtreitenden Geſellem in aufgeregter Leidenſchaft die Stadt in verſchiedenen Richtumgen verließen und ihre Anſichten und den Verruf in meh- rere Sttädte und Länder trugen. Dem Verruf ähnlich und unter Umſtänden recht drückend, konnte wie Unduldſamkeit gegen beweibte Geſellen werden **); ſie originirtt unbezweifelt aus den ſtrengen Keuſchheitsgeſetzen der In- *) Prrov.-Archiv in Magdeburg. **) Naich Lambrechts Cameral-Wiſſenſchaft, Berlin 1797, Seite 143, verrlangten die Geſellen, daß die beweibten den letzten Stuhl oder Pllatz in der Werkſtatt einnehmen ſollten. 8

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Zitationshilfe: Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stock_gesellenwesen_1844/119>, abgerufen am 30.04.2024.