Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

lachen, der von Uns bei seinen Reden ein heiliges Gesicht und
eine unverzogene Miene erwartet. Das Eingegebene ist Uns
fremd, ist Uns nicht eigen, und darum ist es "heilig", und
es hält schwer, die "heilige Scheu davor" abzulegen.

Heutiges Tages hört man auch wieder den "Ernst" an¬
preisen, den "Ernst bei hochwichtigen Gegenständen und Ver¬
handlungen", den "deutschen Ernst" u. s. w. Diese Art der
Ernsthaftigkeit spricht deutlich aus, wie alt und ernstlich schon
die Narrheit und Besessenheit geworden ist. Denn es giebt
nichts Ernsthafteres als den Narren, wenn er auf den Kern¬
punkt seiner Narrheit kommt: da versteht er vor großem Eifer
keinen Spaß mehr. (Siehe Tollhäuser.)

§. 3. Die Hierarchie.

Die geschichtliche Reflexion über Unser Mongolenthum,
welche Ich an dieser Stelle episodisch einlegen will, gebe Ich
nicht mit dem Anspruche aus Gründlichkeit oder auch nur auf
Bewährtheit, sondern lediglich darum, weil Mich dünkt, sie
könne zur Verdeutlichung des Uebrigen beitragen.

Die Weltgeschichte, deren Gestaltung eigentlich ganz dem
caucasischen Menschenstamm angehört, scheint bis jetzt zwei
caucasische Weltalter durchlaufen zu haben, in deren erstem Wir
Unsere angeborne Negerhaftigkeit aus- und abzuarbeiten
hatten, worauf im zweiten die Mongolenhaftigkeit (das
Chinesenthum) folgte, dem gleichfalls endlich ein Ende mit
Schrecken gemacht werden muß. Die Negerhaftigkeit stellt dar
das Alterthum, die Zeit der Abhängigkeit von den Din¬
gen
(vom Hahnenfraß, Vögelflug, vom Niesen, von Donner
und Blitz, vom Rauschen heiliger Bäume u. s. w.); die Mon¬
golenhaftigkeit die Zeit der Abhängigkeit von Gedanken, die

lachen, der von Uns bei ſeinen Reden ein heiliges Geſicht und
eine unverzogene Miene erwartet. Das Eingegebene iſt Uns
fremd, iſt Uns nicht eigen, und darum iſt es „heilig“, und
es hält ſchwer, die „heilige Scheu davor“ abzulegen.

Heutiges Tages hört man auch wieder den „Ernſt“ an¬
preiſen, den „Ernſt bei hochwichtigen Gegenſtänden und Ver¬
handlungen“, den „deutſchen Ernſt“ u. ſ. w. Dieſe Art der
Ernſthaftigkeit ſpricht deutlich aus, wie alt und ernſtlich ſchon
die Narrheit und Beſeſſenheit geworden iſt. Denn es giebt
nichts Ernſthafteres als den Narren, wenn er auf den Kern¬
punkt ſeiner Narrheit kommt: da verſteht er vor großem Eifer
keinen Spaß mehr. (Siehe Tollhäuſer.)

§. 3. Die Hierarchie.

Die geſchichtliche Reflexion über Unſer Mongolenthum,
welche Ich an dieſer Stelle epiſodiſch einlegen will, gebe Ich
nicht mit dem Anſpruche aus Gründlichkeit oder auch nur auf
Bewährtheit, ſondern lediglich darum, weil Mich dünkt, ſie
könne zur Verdeutlichung des Uebrigen beitragen.

Die Weltgeſchichte, deren Geſtaltung eigentlich ganz dem
caucaſiſchen Menſchenſtamm angehört, ſcheint bis jetzt zwei
caucaſiſche Weltalter durchlaufen zu haben, in deren erſtem Wir
Unſere angeborne Negerhaftigkeit aus- und abzuarbeiten
hatten, worauf im zweiten die Mongolenhaftigkeit (das
Chineſenthum) folgte, dem gleichfalls endlich ein Ende mit
Schrecken gemacht werden muß. Die Negerhaftigkeit ſtellt dar
das Alterthum, die Zeit der Abhängigkeit von den Din¬
gen
(vom Hahnenfraß, Vögelflug, vom Nieſen, von Donner
und Blitz, vom Rauſchen heiliger Bäume u. ſ. w.); die Mon¬
golenhaftigkeit die Zeit der Abhängigkeit von Gedanken, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0095" n="87"/>
lachen, der von Uns bei &#x017F;einen Reden ein heiliges Ge&#x017F;icht und<lb/>
eine unverzogene Miene erwartet. Das Eingegebene i&#x017F;t Uns<lb/><hi rendition="#g">fremd</hi>, i&#x017F;t Uns nicht eigen, und darum i&#x017F;t es &#x201E;heilig&#x201C;, und<lb/>
es hält &#x017F;chwer, die &#x201E;heilige Scheu davor&#x201C; abzulegen.</p><lb/>
                <p>Heutiges Tages hört man auch wieder den &#x201E;Ern&#x017F;t&#x201C; an¬<lb/>
prei&#x017F;en, den &#x201E;Ern&#x017F;t bei hochwichtigen Gegen&#x017F;tänden und Ver¬<lb/>
handlungen&#x201C;, den &#x201E;deut&#x017F;chen Ern&#x017F;t&#x201C; u. &#x017F;. w. Die&#x017F;e Art der<lb/>
Ern&#x017F;thaftigkeit &#x017F;pricht deutlich aus, wie alt und ern&#x017F;tlich &#x017F;chon<lb/>
die Narrheit und Be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;enheit geworden i&#x017F;t. Denn es giebt<lb/>
nichts Ern&#x017F;thafteres als den Narren, wenn er auf den Kern¬<lb/>
punkt &#x017F;einer Narrheit kommt: da ver&#x017F;teht er vor großem Eifer<lb/>
keinen Spaß mehr. (Siehe Tollhäu&#x017F;er.)</p><lb/>
              </div>
            </div>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">§. 3.</hi> <hi rendition="#g">Die Hierarchie.</hi><lb/>
              </head>
              <p>Die ge&#x017F;chichtliche Reflexion über Un&#x017F;er Mongolenthum,<lb/>
welche Ich an die&#x017F;er Stelle epi&#x017F;odi&#x017F;ch einlegen will, gebe Ich<lb/>
nicht mit dem An&#x017F;pruche aus Gründlichkeit oder auch nur auf<lb/>
Bewährtheit, &#x017F;ondern lediglich darum, weil Mich dünkt, &#x017F;ie<lb/>
könne zur Verdeutlichung des Uebrigen beitragen.</p><lb/>
              <p>Die Weltge&#x017F;chichte, deren Ge&#x017F;taltung eigentlich ganz dem<lb/>
cauca&#x017F;i&#x017F;chen Men&#x017F;chen&#x017F;tamm angehört, &#x017F;cheint bis jetzt zwei<lb/>
cauca&#x017F;i&#x017F;che Weltalter durchlaufen zu haben, in deren er&#x017F;tem Wir<lb/>
Un&#x017F;ere angeborne <hi rendition="#g">Negerhaftigkeit</hi> aus- und abzuarbeiten<lb/>
hatten, worauf im zweiten die <hi rendition="#g">Mongolenhaftigkeit</hi> (das<lb/>
Chine&#x017F;enthum) folgte, dem gleichfalls endlich ein Ende mit<lb/>
Schrecken gemacht werden muß. Die Negerhaftigkeit &#x017F;tellt dar<lb/>
das <hi rendition="#g">Alterthum</hi>, die Zeit der Abhängigkeit von den <hi rendition="#g">Din¬<lb/>
gen</hi> (vom Hahnenfraß, Vögelflug, vom Nie&#x017F;en, von Donner<lb/>
und Blitz, vom Rau&#x017F;chen heiliger Bäume u. &#x017F;. w.); die Mon¬<lb/>
golenhaftigkeit die Zeit der Abhängigkeit von Gedanken, die<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0095] lachen, der von Uns bei ſeinen Reden ein heiliges Geſicht und eine unverzogene Miene erwartet. Das Eingegebene iſt Uns fremd, iſt Uns nicht eigen, und darum iſt es „heilig“, und es hält ſchwer, die „heilige Scheu davor“ abzulegen. Heutiges Tages hört man auch wieder den „Ernſt“ an¬ preiſen, den „Ernſt bei hochwichtigen Gegenſtänden und Ver¬ handlungen“, den „deutſchen Ernſt“ u. ſ. w. Dieſe Art der Ernſthaftigkeit ſpricht deutlich aus, wie alt und ernſtlich ſchon die Narrheit und Beſeſſenheit geworden iſt. Denn es giebt nichts Ernſthafteres als den Narren, wenn er auf den Kern¬ punkt ſeiner Narrheit kommt: da verſteht er vor großem Eifer keinen Spaß mehr. (Siehe Tollhäuſer.) §. 3. Die Hierarchie. Die geſchichtliche Reflexion über Unſer Mongolenthum, welche Ich an dieſer Stelle epiſodiſch einlegen will, gebe Ich nicht mit dem Anſpruche aus Gründlichkeit oder auch nur auf Bewährtheit, ſondern lediglich darum, weil Mich dünkt, ſie könne zur Verdeutlichung des Uebrigen beitragen. Die Weltgeſchichte, deren Geſtaltung eigentlich ganz dem caucaſiſchen Menſchenſtamm angehört, ſcheint bis jetzt zwei caucaſiſche Weltalter durchlaufen zu haben, in deren erſtem Wir Unſere angeborne Negerhaftigkeit aus- und abzuarbeiten hatten, worauf im zweiten die Mongolenhaftigkeit (das Chineſenthum) folgte, dem gleichfalls endlich ein Ende mit Schrecken gemacht werden muß. Die Negerhaftigkeit ſtellt dar das Alterthum, die Zeit der Abhängigkeit von den Din¬ gen (vom Hahnenfraß, Vögelflug, vom Nieſen, von Donner und Blitz, vom Rauſchen heiliger Bäume u. ſ. w.); die Mon¬ golenhaftigkeit die Zeit der Abhängigkeit von Gedanken, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/95
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/95>, abgerufen am 24.11.2024.