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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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geht, Gefühle in Uns zu erzeugen, d. h. sie uns einzugeben,
statt die Erzeugung derselben Uns zu überlassen, wie sie auch
ausfallen mögen. Hören Wir den Namen Gottes, so sollen
Wir Gottesfurcht empfinden, hören Wir den der fürstlichen
Majestät, so soll er mit Ehrfurcht, Ehrerbietung, Unterthänig¬
keit aufgenommen werden, hören Wir den der Moral, so sollen
Wir etwas Unverletzliches zu hören meinen, hören Wir von
dem und den Bösen, so sollen Wir schaudern u. s. w. Auf
diese Gefühle ist's abgesehen, und wer z. B. die Thaten
der "Bösen" mit Wohlgefallen vernähme, der müßte durch die
Zuchtruthe "gezüchtigt und erzogen" werden. So mit ein¬
gegebenen Gefühlen vollgestopft, erscheinen Wir vor den
Schranken der Mündigkeit und werden "mündig gesprochen".
Unsere Ausrüstung besteht aus "erhebenden Gefühlen, erhabe¬
nen Gedanken, begeisternden Grundsätzen, ewigen Principien"
u. s. w. Mündig sind die Jungen dann, wenn sie zwitschern
wie die Alten; man hetzt sie durch die Schule, damit sie die
alte Leier lernen, und haben sie diese inne, so erklärt man sie
für mündig.

Wir dürfen nicht bei jeder Sache und jedem Namen,
der Uns vorkommt, fühlen, was Wir dabei fühlen möchten und
könnten, dürfen z. B. bei dem Namen Gottes nichts Lächer¬
liches denken, nichts Unehrerbietiges fühlen, sondern es ist Uns
vorgeschrieben und eingegeben, was und wie Wir dabei fühlen
und denken sollen.

Das ist der Sinn der Seelsorge, daß meine Seele
oder mein Geist gestimmt sei, wie Andere es recht finden,
nicht wie Ich selbst möchte. Wie viele Mühe kostet es Einem
nicht, wenigstens bei dem und jenem Namen endlich sich ein
eigenes Gefühl zu sichern und Manchem ins Gesicht zu

geht, Gefühle in Uns zu erzeugen, d. h. ſie uns einzugeben,
ſtatt die Erzeugung derſelben Uns zu überlaſſen, wie ſie auch
ausfallen mögen. Hören Wir den Namen Gottes, ſo ſollen
Wir Gottesfurcht empfinden, hören Wir den der fürſtlichen
Majeſtät, ſo ſoll er mit Ehrfurcht, Ehrerbietung, Unterthänig¬
keit aufgenommen werden, hören Wir den der Moral, ſo ſollen
Wir etwas Unverletzliches zu hören meinen, hören Wir von
dem und den Böſen, ſo ſollen Wir ſchaudern u. ſ. w. Auf
dieſe Gefühle iſt's abgeſehen, und wer z. B. die Thaten
der „Böſen“ mit Wohlgefallen vernähme, der müßte durch die
Zuchtruthe „gezüchtigt und erzogen“ werden. So mit ein¬
gegebenen Gefühlen vollgeſtopft, erſcheinen Wir vor den
Schranken der Mündigkeit und werden „mündig geſprochen“.
Unſere Ausrüſtung beſteht aus „erhebenden Gefühlen, erhabe¬
nen Gedanken, begeiſternden Grundſätzen, ewigen Principien“
u. ſ. w. Mündig ſind die Jungen dann, wenn ſie zwitſchern
wie die Alten; man hetzt ſie durch die Schule, damit ſie die
alte Leier lernen, und haben ſie dieſe inne, ſo erklärt man ſie
für mündig.

Wir dürfen nicht bei jeder Sache und jedem Namen,
der Uns vorkommt, fühlen, was Wir dabei fühlen möchten und
könnten, dürfen z. B. bei dem Namen Gottes nichts Lächer¬
liches denken, nichts Unehrerbietiges fühlen, ſondern es iſt Uns
vorgeſchrieben und eingegeben, was und wie Wir dabei fühlen
und denken ſollen.

Das iſt der Sinn der Seelſorge, daß meine Seele
oder mein Geiſt geſtimmt ſei, wie Andere es recht finden,
nicht wie Ich ſelbſt möchte. Wie viele Mühe koſtet es Einem
nicht, wenigſtens bei dem und jenem Namen endlich ſich ein
eigenes Gefühl zu ſichern und Manchem ins Geſicht zu

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[86/0094] geht, Gefühle in Uns zu erzeugen, d. h. ſie uns einzugeben, ſtatt die Erzeugung derſelben Uns zu überlaſſen, wie ſie auch ausfallen mögen. Hören Wir den Namen Gottes, ſo ſollen Wir Gottesfurcht empfinden, hören Wir den der fürſtlichen Majeſtät, ſo ſoll er mit Ehrfurcht, Ehrerbietung, Unterthänig¬ keit aufgenommen werden, hören Wir den der Moral, ſo ſollen Wir etwas Unverletzliches zu hören meinen, hören Wir von dem und den Böſen, ſo ſollen Wir ſchaudern u. ſ. w. Auf dieſe Gefühle iſt's abgeſehen, und wer z. B. die Thaten der „Böſen“ mit Wohlgefallen vernähme, der müßte durch die Zuchtruthe „gezüchtigt und erzogen“ werden. So mit ein¬ gegebenen Gefühlen vollgeſtopft, erſcheinen Wir vor den Schranken der Mündigkeit und werden „mündig geſprochen“. Unſere Ausrüſtung beſteht aus „erhebenden Gefühlen, erhabe¬ nen Gedanken, begeiſternden Grundſätzen, ewigen Principien“ u. ſ. w. Mündig ſind die Jungen dann, wenn ſie zwitſchern wie die Alten; man hetzt ſie durch die Schule, damit ſie die alte Leier lernen, und haben ſie dieſe inne, ſo erklärt man ſie für mündig. Wir dürfen nicht bei jeder Sache und jedem Namen, der Uns vorkommt, fühlen, was Wir dabei fühlen möchten und könnten, dürfen z. B. bei dem Namen Gottes nichts Lächer¬ liches denken, nichts Unehrerbietiges fühlen, ſondern es iſt Uns vorgeſchrieben und eingegeben, was und wie Wir dabei fühlen und denken ſollen. Das iſt der Sinn der Seelſorge, daß meine Seele oder mein Geiſt geſtimmt ſei, wie Andere es recht finden, nicht wie Ich ſelbſt möchte. Wie viele Mühe koſtet es Einem nicht, wenigſtens bei dem und jenem Namen endlich ſich ein eigenes Gefühl zu ſichern und Manchem ins Geſicht zu

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/94>, abgerufen am 28.03.2024.