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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Anderes in mir angeregt, und denen, welche Mir gegeben
werden. Gott, Unsterblichkeit, Freiheit, Menschlichkeit u. s. w.
werden Uns von Kindheit an als Gedanken und Gefühle ein¬
geprägt, die kräftiger oder flauer Unser Inneres bewegen, und
entweder unbewußt Uns beherrschen, oder in reicheren Naturen
zu Systemen und Kunstwerken sich darlegen können, immer
aber nicht angeregte, sondern eingegebene Gefühle sind, weil
Wir an sie glauben und an ihnen hängen müssen. Daß ein
Absolutes sei und dieses Absolute von Uns aufgenommen, ge¬
fühlt und gedacht werden müsse, stand als Glaube bei denen
fest, die alle Kraft ihres Geistes darauf verwandten, es zu er¬
kennen und darzustellen. Das Gefühl für das Absolute
besteht da als ein eingegebenes und kommt fortan nur zu den
mannigfaltigsten Offenbarungen seiner selbst. So war in Klop¬
stock das religiöse Gefühl ein eingegebenes, das sich in der
Messiade nur künstlerisch verkündete. Wäre hingegen die Reli¬
gion, welche er vorfand, für ihn nur eine Anregung zu Gefühl
und Gedanke gewesen, und hätte er sich ganz eigen dagegen
zu stellen gewußt, so ergab sich statt religiöser Begeisterung eine
Auflösung und Verzehrung des Objectes. Dafür setzte er im
reifen Alter nur seine kindischen, in der Kindheit empfangenen
Gefühle fort, und verpraßte die Kräfte seiner Mannheit in dem
Aufputz seiner Kindereien.

Der Unterschied ist also der, ob Mir Gefühle eingegeben
oder nur angeregt sind. Die letzteren sind eigene, egoistische,
weil sie Mir nicht als Gefühle eingeprägt, vorgesagt und
aufgedrungen wurden; zu den ersteren aber spreize Ich Mich
auf, hege sie in Mir wie ein Erbtheil, cultivire sie und bin
von ihnen besessen. Wer hätte es niemals, bewußter oder
unbewußter gemerkt, daß Unsere ganze Erziehung darauf aus¬

Anderes in mir angeregt, und denen, welche Mir gegeben
werden. Gott, Unſterblichkeit, Freiheit, Menſchlichkeit u. ſ. w.
werden Uns von Kindheit an als Gedanken und Gefühle ein¬
geprägt, die kräftiger oder flauer Unſer Inneres bewegen, und
entweder unbewußt Uns beherrſchen, oder in reicheren Naturen
zu Syſtemen und Kunſtwerken ſich darlegen können, immer
aber nicht angeregte, ſondern eingegebene Gefühle ſind, weil
Wir an ſie glauben und an ihnen hängen müſſen. Daß ein
Abſolutes ſei und dieſes Abſolute von Uns aufgenommen, ge¬
fühlt und gedacht werden müſſe, ſtand als Glaube bei denen
feſt, die alle Kraft ihres Geiſtes darauf verwandten, es zu er¬
kennen und darzuſtellen. Das Gefühl für das Abſolute
beſteht da als ein eingegebenes und kommt fortan nur zu den
mannigfaltigſten Offenbarungen ſeiner ſelbſt. So war in Klop¬
ſtock das religiöſe Gefühl ein eingegebenes, das ſich in der
Meſſiade nur künſtleriſch verkündete. Wäre hingegen die Reli¬
gion, welche er vorfand, für ihn nur eine Anregung zu Gefühl
und Gedanke geweſen, und hätte er ſich ganz eigen dagegen
zu ſtellen gewußt, ſo ergab ſich ſtatt religiöſer Begeiſterung eine
Auflöſung und Verzehrung des Objectes. Dafür ſetzte er im
reifen Alter nur ſeine kindiſchen, in der Kindheit empfangenen
Gefühle fort, und verpraßte die Kräfte ſeiner Mannheit in dem
Aufputz ſeiner Kindereien.

Der Unterſchied iſt alſo der, ob Mir Gefühle eingegeben
oder nur angeregt ſind. Die letzteren ſind eigene, egoiſtiſche,
weil ſie Mir nicht als Gefühle eingeprägt, vorgeſagt und
aufgedrungen wurden; zu den erſteren aber ſpreize Ich Mich
auf, hege ſie in Mir wie ein Erbtheil, cultivire ſie und bin
von ihnen beſeſſen. Wer hätte es niemals, bewußter oder
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[85/0093] Anderes in mir angeregt, und denen, welche Mir gegeben werden. Gott, Unſterblichkeit, Freiheit, Menſchlichkeit u. ſ. w. werden Uns von Kindheit an als Gedanken und Gefühle ein¬ geprägt, die kräftiger oder flauer Unſer Inneres bewegen, und entweder unbewußt Uns beherrſchen, oder in reicheren Naturen zu Syſtemen und Kunſtwerken ſich darlegen können, immer aber nicht angeregte, ſondern eingegebene Gefühle ſind, weil Wir an ſie glauben und an ihnen hängen müſſen. Daß ein Abſolutes ſei und dieſes Abſolute von Uns aufgenommen, ge¬ fühlt und gedacht werden müſſe, ſtand als Glaube bei denen feſt, die alle Kraft ihres Geiſtes darauf verwandten, es zu er¬ kennen und darzuſtellen. Das Gefühl für das Abſolute beſteht da als ein eingegebenes und kommt fortan nur zu den mannigfaltigſten Offenbarungen ſeiner ſelbſt. So war in Klop¬ ſtock das religiöſe Gefühl ein eingegebenes, das ſich in der Meſſiade nur künſtleriſch verkündete. Wäre hingegen die Reli¬ gion, welche er vorfand, für ihn nur eine Anregung zu Gefühl und Gedanke geweſen, und hätte er ſich ganz eigen dagegen zu ſtellen gewußt, ſo ergab ſich ſtatt religiöſer Begeiſterung eine Auflöſung und Verzehrung des Objectes. Dafür ſetzte er im reifen Alter nur ſeine kindiſchen, in der Kindheit empfangenen Gefühle fort, und verpraßte die Kräfte ſeiner Mannheit in dem Aufputz ſeiner Kindereien. Der Unterſchied iſt alſo der, ob Mir Gefühle eingegeben oder nur angeregt ſind. Die letzteren ſind eigene, egoiſtiſche, weil ſie Mir nicht als Gefühle eingeprägt, vorgeſagt und aufgedrungen wurden; zu den erſteren aber ſpreize Ich Mich auf, hege ſie in Mir wie ein Erbtheil, cultivire ſie und bin von ihnen beſeſſen. Wer hätte es niemals, bewußter oder unbewußter gemerkt, daß Unſere ganze Erziehung darauf aus¬

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/93>, abgerufen am 28.03.2024.