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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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klärer! Wir werden das empfinden! Was läge denn dem war¬
men Gespensterglauben zu Grunde, wenn nicht der Glaube an
das "Dasein geistiger Wesen überhaupt", und wird nicht die¬
ser letztere selbst in ein unseliges Wanken gebracht, wenn man
gestattet, daß freche Verstandesmenschen an jenem rütteln dür¬
fen? Welch einen Stoß der Gottesglaube selbst durch die Ab¬
legung des Geister- oder Gespensterglaubens erlitt, das fühlten
die Romantiker sehr wohl, und suchten den unheilvollen Fol¬
gen nicht bloß durch ihre wiedererweckte Märchenwelt abzuhel¬
fen, sondern zuletzt besonders durch das "Hereinragen einer
höheren Welt", durch ihre Somnambulen, Seherinnen von
Prevorst u. s. w. Die guten Gläubigen und Kirchenväter
ahnten nicht, daß mit dem Gespensterglauben der Religion ihr
Boden entzogen werde, und daß sie seitdem in der Luft schwebe.
Wer an kein Gespenst mehr glaubt, der braucht nur in sei¬
nem Unglauben consequent fortzuwandeln, um einzusehen, daß
überhaupt hinter den Dingen kein apartes Wesen stecke, kein
Gespenst oder -- was naiver Weise auch dem Worte nach für
gleichbedeutend gilt -- kein "Geist".

"Es existiren Geister!" Blick' umher in der Welt und sage
selbst, ob nicht aus allem Dich ein Geist anschaut. Aus der
Blume, der kleinen, lieblichen, spricht der Geist des Schöpfers
zu Dir, der sie so wunderbar geformt hat; die Sterne verkün¬
den den Geist, der sie geordnet, von den Berggipfeln weht ein
Geist der Erhabenheit herunter, aus den Wassern rauscht ein
Geist der Sehnsucht herauf, und -- aus den Menschen reden
Millionen Geister. Mögen die Berge einsinken, die Blumen
verblühen, die Sternenwelt zusammenstürzen, die Menschen ster¬
ben -- was liegt am Untergang dieser sichtbaren Körper? Der
Geist, der "unsichtbare", bleibt ewig!

klärer! Wir werden das empfinden! Was läge denn dem war¬
men Geſpenſterglauben zu Grunde, wenn nicht der Glaube an
das „Daſein geiſtiger Weſen überhaupt“, und wird nicht die¬
ſer letztere ſelbſt in ein unſeliges Wanken gebracht, wenn man
geſtattet, daß freche Verſtandesmenſchen an jenem rütteln dür¬
fen? Welch einen Stoß der Gottesglaube ſelbſt durch die Ab¬
legung des Geiſter- oder Geſpenſterglaubens erlitt, das fühlten
die Romantiker ſehr wohl, und ſuchten den unheilvollen Fol¬
gen nicht bloß durch ihre wiedererweckte Märchenwelt abzuhel¬
fen, ſondern zuletzt beſonders durch das „Hereinragen einer
höheren Welt“, durch ihre Somnambulen, Seherinnen von
Prevorſt u. ſ. w. Die guten Gläubigen und Kirchenväter
ahnten nicht, daß mit dem Geſpenſterglauben der Religion ihr
Boden entzogen werde, und daß ſie ſeitdem in der Luft ſchwebe.
Wer an kein Geſpenſt mehr glaubt, der braucht nur in ſei¬
nem Unglauben conſequent fortzuwandeln, um einzuſehen, daß
überhaupt hinter den Dingen kein apartes Weſen ſtecke, kein
Geſpenſt oder — was naiver Weiſe auch dem Worte nach für
gleichbedeutend gilt — kein „Geiſt“.

„Es exiſtiren Geiſter!“ Blick' umher in der Welt und ſage
ſelbſt, ob nicht aus allem Dich ein Geiſt anſchaut. Aus der
Blume, der kleinen, lieblichen, ſpricht der Geiſt des Schöpfers
zu Dir, der ſie ſo wunderbar geformt hat; die Sterne verkün¬
den den Geiſt, der ſie geordnet, von den Berggipfeln weht ein
Geiſt der Erhabenheit herunter, aus den Waſſern rauſcht ein
Geiſt der Sehnſucht herauf, und — aus den Menſchen reden
Millionen Geiſter. Mögen die Berge einſinken, die Blumen
verblühen, die Sternenwelt zuſammenſtürzen, die Menſchen ſter¬
ben — was liegt am Untergang dieſer ſichtbaren Körper? Der
Geiſt, der „unſichtbare“, bleibt ewig!

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[46/0054] klärer! Wir werden das empfinden! Was läge denn dem war¬ men Geſpenſterglauben zu Grunde, wenn nicht der Glaube an das „Daſein geiſtiger Weſen überhaupt“, und wird nicht die¬ ſer letztere ſelbſt in ein unſeliges Wanken gebracht, wenn man geſtattet, daß freche Verſtandesmenſchen an jenem rütteln dür¬ fen? Welch einen Stoß der Gottesglaube ſelbſt durch die Ab¬ legung des Geiſter- oder Geſpenſterglaubens erlitt, das fühlten die Romantiker ſehr wohl, und ſuchten den unheilvollen Fol¬ gen nicht bloß durch ihre wiedererweckte Märchenwelt abzuhel¬ fen, ſondern zuletzt beſonders durch das „Hereinragen einer höheren Welt“, durch ihre Somnambulen, Seherinnen von Prevorſt u. ſ. w. Die guten Gläubigen und Kirchenväter ahnten nicht, daß mit dem Geſpenſterglauben der Religion ihr Boden entzogen werde, und daß ſie ſeitdem in der Luft ſchwebe. Wer an kein Geſpenſt mehr glaubt, der braucht nur in ſei¬ nem Unglauben conſequent fortzuwandeln, um einzuſehen, daß überhaupt hinter den Dingen kein apartes Weſen ſtecke, kein Geſpenſt oder — was naiver Weiſe auch dem Worte nach für gleichbedeutend gilt — kein „Geiſt“. „Es exiſtiren Geiſter!“ Blick' umher in der Welt und ſage ſelbſt, ob nicht aus allem Dich ein Geiſt anſchaut. Aus der Blume, der kleinen, lieblichen, ſpricht der Geiſt des Schöpfers zu Dir, der ſie ſo wunderbar geformt hat; die Sterne verkün¬ den den Geiſt, der ſie geordnet, von den Berggipfeln weht ein Geiſt der Erhabenheit herunter, aus den Waſſern rauſcht ein Geiſt der Sehnſucht herauf, und — aus den Menſchen reden Millionen Geiſter. Mögen die Berge einſinken, die Blumen verblühen, die Sternenwelt zuſammenſtürzen, die Menſchen ſter¬ ben — was liegt am Untergang dieſer ſichtbaren Körper? Der Geiſt, der „unſichtbare“, bleibt ewig!

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/54>, abgerufen am 28.03.2024.