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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Ja, es spukt in der ganzen Welt! Nur in ihr? Nein,
sie selber spukt, sie ist unheimlich durch und durch, sie ist der
wandelnde Scheinleib eines Geistes, sie ist ein Spuk. Was
wäre ein Gespenst denn anders als ein scheinbarer Leib, aber
wirklicher Geist? Nun, die Welt ist "eitel", ist "nichtig", ist
nur blendender "Schein"; ihre Wahrheit ist allein der Geist;
sie ist der Scheinleib eines Geistes.

Schau' hin in die Nähe oder in die Ferne, Dich umgiebt
überall eine gespenstische Welt: Du hast immer "Erschei¬
nungen" oder Visionen. Alles, was Dir erscheint, ist nur
der Schein eines inwohnenden Geistes, ist eine gespenstische
"Erscheinung", die Welt Dir nur eine "Erscheinungswelt",
hinter welcher der Geist sein Wesen treibt. Du "siehst Geister".

Gedenkst Du Dich etwa mit den Alten zu vergleichen,
die überall Götter sahen? Götter, mein lieber Neuer, sind
keine Geister; Götter setzen die Welt nicht zu einem Schein
herab und vergeistigen sie nicht.

Dir aber ist die ganze Welt vergeistigt und ein räthsel¬
haftes Gespenst geworden; darum wundere Dich nicht, wenn
Du ebenso in Dir nichts als einen Spuk findest. Spukt
nicht Dein Geist in Deinem Leibe, und ist nicht jener allein
das Wahre und Wirkliche, dieser nur das "Vergängliche,
Nichtige" oder ein "Schein"? Sind Wir nicht Alle Gespen¬
ster, unheimliche Wesen, die auf "Erlösung" harren, nämlich
"Geister"?

Seit der Geist in der Welt erschienen, seit "das Wort
Fleisch geworden" ist, seitdem ist die Welt vergeistigt, verzau¬
bert, ein Spuk.

Du hast Geist, denn Du hast Gedanken. Was sind Deine
Gedanken? -- Geistige Wesen. -- Also keine Dinge?-- Nein,

Ja, es ſpukt in der ganzen Welt! Nur in ihr? Nein,
ſie ſelber ſpukt, ſie iſt unheimlich durch und durch, ſie iſt der
wandelnde Scheinleib eines Geiſtes, ſie iſt ein Spuk. Was
wäre ein Geſpenſt denn anders als ein ſcheinbarer Leib, aber
wirklicher Geiſt? Nun, die Welt iſt „eitel“, iſt „nichtig“, iſt
nur blendender „Schein“; ihre Wahrheit iſt allein der Geiſt;
ſie iſt der Scheinleib eines Geiſtes.

Schau' hin in die Nähe oder in die Ferne, Dich umgiebt
überall eine geſpenſtiſche Welt: Du haſt immer „Erſchei¬
nungen“ oder Viſionen. Alles, was Dir erſcheint, iſt nur
der Schein eines inwohnenden Geiſtes, iſt eine geſpenſtiſche
„Erſcheinung“, die Welt Dir nur eine „Erſcheinungswelt“,
hinter welcher der Geiſt ſein Weſen treibt. Du „ſiehſt Geiſter“.

Gedenkſt Du Dich etwa mit den Alten zu vergleichen,
die überall Götter ſahen? Götter, mein lieber Neuer, ſind
keine Geiſter; Götter ſetzen die Welt nicht zu einem Schein
herab und vergeiſtigen ſie nicht.

Dir aber iſt die ganze Welt vergeiſtigt und ein räthſel¬
haftes Geſpenſt geworden; darum wundere Dich nicht, wenn
Du ebenſo in Dir nichts als einen Spuk findeſt. Spukt
nicht Dein Geiſt in Deinem Leibe, und iſt nicht jener allein
das Wahre und Wirkliche, dieſer nur das „Vergängliche,
Nichtige“ oder ein „Schein“? Sind Wir nicht Alle Geſpen¬
ſter, unheimliche Weſen, die auf „Erlöſung“ harren, nämlich
„Geiſter“?

Seit der Geiſt in der Welt erſchienen, ſeit „das Wort
Fleiſch geworden“ iſt, ſeitdem iſt die Welt vergeiſtigt, verzau¬
bert, ein Spuk.

Du haſt Geiſt, denn Du haſt Gedanken. Was ſind Deine
Gedanken? — Geiſtige Weſen. — Alſo keine Dinge?— Nein,

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[47/0055] Ja, es ſpukt in der ganzen Welt! Nur in ihr? Nein, ſie ſelber ſpukt, ſie iſt unheimlich durch und durch, ſie iſt der wandelnde Scheinleib eines Geiſtes, ſie iſt ein Spuk. Was wäre ein Geſpenſt denn anders als ein ſcheinbarer Leib, aber wirklicher Geiſt? Nun, die Welt iſt „eitel“, iſt „nichtig“, iſt nur blendender „Schein“; ihre Wahrheit iſt allein der Geiſt; ſie iſt der Scheinleib eines Geiſtes. Schau' hin in die Nähe oder in die Ferne, Dich umgiebt überall eine geſpenſtiſche Welt: Du haſt immer „Erſchei¬ nungen“ oder Viſionen. Alles, was Dir erſcheint, iſt nur der Schein eines inwohnenden Geiſtes, iſt eine geſpenſtiſche „Erſcheinung“, die Welt Dir nur eine „Erſcheinungswelt“, hinter welcher der Geiſt ſein Weſen treibt. Du „ſiehſt Geiſter“. Gedenkſt Du Dich etwa mit den Alten zu vergleichen, die überall Götter ſahen? Götter, mein lieber Neuer, ſind keine Geiſter; Götter ſetzen die Welt nicht zu einem Schein herab und vergeiſtigen ſie nicht. Dir aber iſt die ganze Welt vergeiſtigt und ein räthſel¬ haftes Geſpenſt geworden; darum wundere Dich nicht, wenn Du ebenſo in Dir nichts als einen Spuk findeſt. Spukt nicht Dein Geiſt in Deinem Leibe, und iſt nicht jener allein das Wahre und Wirkliche, dieſer nur das „Vergängliche, Nichtige“ oder ein „Schein“? Sind Wir nicht Alle Geſpen¬ ſter, unheimliche Weſen, die auf „Erlöſung“ harren, nämlich „Geiſter“? Seit der Geiſt in der Welt erſchienen, ſeit „das Wort Fleiſch geworden“ iſt, ſeitdem iſt die Welt vergeiſtigt, verzau¬ bert, ein Spuk. Du haſt Geiſt, denn Du haſt Gedanken. Was ſind Deine Gedanken? — Geiſtige Weſen. — Alſo keine Dinge?— Nein,

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/55>, abgerufen am 24.04.2024.