Liebe. Alle dienstbare Kritik ist ein Liebesproduct, eine Be¬ sessenheit, und verfährt nach jenem neutestamentlichen: "Prü¬ fer Alles und das Gute behaltet." *)"Das Gute" ist der Prüfstein, das Kriterium. Das Gute, unter tausenderlei Na¬ men und Gestalten wiederkehrend, blieb immer die Vorausse¬ tzung, blieb der dogmatisch feste Punkt für diese Kritik, blieb die -- fixe Idee.
Unbefangen setzt der Kritiker, indem er sich an die Arbeit macht, die "Wahrheit voraus, und in dem Glauben, daß sie zu finden sei, sucht er die Wahrheit. Er will das Wahre er¬ mitteln und hat daran eben jenes "Gute".
Voraussetzen heißt nichts anders, als einen Gedanken voranstellen, oder etwas vor allem Andern denken und von diesem Gedachten aus das Uebrige denken, d. h. es daran messen und kritisiren. Mit andern Worten sagt dieß so viel, daß das Denken mir einem Gedachten beginnen soll. Begönne das Denken überhaupt, statt begonnen zu werden, wäre das Denken ein Subject, eine eigene handelnde Persönlichkeit, wie schon die Pflanze eine solche ist, so wäre freilich nicht davon abzustehen, daß das Denken mit sich anfangen müsse. Allein die Personification des Denkens bringt eben jene unzähligen Irrthümer zu Stande. Im Hegel'schen Systeme wird immer so gesprochen, als dächte und handelte das Denken oder "der denkende Geist", d. h. das personificirte Denken, das Denken als Gespenst; im kritischen Liberalismus heißt es stets: "die Kritik" thue das und das, oder auch: "das Selbstbewußtsein" finde das und das. Gilt aber das Denken für das persön¬ lich Handelnde, so muß das Denken selbst vorausgesetzt sein,
*) 1 Thess. 5, 21.
Liebe. Alle dienſtbare Kritik iſt ein Liebesproduct, eine Be¬ ſeſſenheit, und verfährt nach jenem neuteſtamentlichen: „Prü¬ fer Alles und das Gute behaltet.“ *)„Das Gute“ iſt der Prüfſtein, das Kriterium. Das Gute, unter tauſenderlei Na¬ men und Geſtalten wiederkehrend, blieb immer die Vorauſſe¬ tzung, blieb der dogmatiſch feſte Punkt für dieſe Kritik, blieb die — fixe Idee.
Unbefangen ſetzt der Kritiker, indem er ſich an die Arbeit macht, die „Wahrheit voraus, und in dem Glauben, daß ſie zu finden ſei, ſucht er die Wahrheit. Er will das Wahre er¬ mitteln und hat daran eben jenes „Gute“.
Vorauſſetzen heißt nichts anders, als einen Gedanken voranſtellen, oder etwas vor allem Andern denken und von dieſem Gedachten aus das Uebrige denken, d. h. es daran meſſen und kritiſiren. Mit andern Worten ſagt dieß ſo viel, daß das Denken mir einem Gedachten beginnen ſoll. Begönne das Denken überhaupt, ſtatt begonnen zu werden, wäre das Denken ein Subject, eine eigene handelnde Perſönlichkeit, wie ſchon die Pflanze eine ſolche iſt, ſo wäre freilich nicht davon abzuſtehen, daß das Denken mit ſich anfangen müſſe. Allein die Perſonification des Denkens bringt eben jene unzähligen Irrthümer zu Stande. Im Hegel'ſchen Syſteme wird immer ſo geſprochen, als dächte und handelte das Denken oder „der denkende Geiſt“, d. h. das perſonificirte Denken, das Denken als Geſpenſt; im kritiſchen Liberalismus heißt es ſtets: „die Kritik“ thue das und das, oder auch: „das Selbſtbewußtſein“ finde das und das. Gilt aber das Denken für das perſön¬ lich Handelnde, ſo muß das Denken ſelbſt vorausgeſetzt ſein,
*) 1 Theſſ. 5, 21.
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Liebe. Alle dienſtbare Kritik iſt ein Liebesproduct, eine Be¬
ſeſſenheit, und verfährt nach jenem neuteſtamentlichen: „Prü¬
fer Alles und das Gute behaltet.“ *)„Das Gute“ iſt der
Prüfſtein, das Kriterium. Das Gute, unter tauſenderlei Na¬
men und Geſtalten wiederkehrend, blieb immer die Vorauſſe¬
tzung, blieb der dogmatiſch feſte Punkt für dieſe Kritik, blieb
die — fixe Idee.
Unbefangen ſetzt der Kritiker, indem er ſich an die Arbeit
macht, die „Wahrheit voraus, und in dem Glauben, daß ſie
zu finden ſei, ſucht er die Wahrheit. Er will das Wahre er¬
mitteln und hat daran eben jenes „Gute“.
Vorauſſetzen heißt nichts anders, als einen Gedanken
voranſtellen, oder etwas vor allem Andern denken und von
dieſem Gedachten aus das Uebrige denken, d. h. es daran
meſſen und kritiſiren. Mit andern Worten ſagt dieß ſo viel,
daß das Denken mir einem Gedachten beginnen ſoll. Begönne
das Denken überhaupt, ſtatt begonnen zu werden, wäre das
Denken ein Subject, eine eigene handelnde Perſönlichkeit, wie
ſchon die Pflanze eine ſolche iſt, ſo wäre freilich nicht davon
abzuſtehen, daß das Denken mit ſich anfangen müſſe. Allein
die Perſonification des Denkens bringt eben jene unzähligen
Irrthümer zu Stande. Im Hegel'ſchen Syſteme wird immer
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denkende Geiſt“, d. h. das perſonificirte Denken, das Denken
als Geſpenſt; im kritiſchen Liberalismus heißt es ſtets: „die
Kritik“ thue das und das, oder auch: „das Selbſtbewußtſein“
finde das und das. Gilt aber das Denken für das perſön¬
lich Handelnde, ſo muß das Denken ſelbſt vorausgeſetzt ſein,
*)
1 Theſſ. 5, 21.
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/477>, abgerufen am 23.11.2024.
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