Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

und ihre Empörung nicht aufkommen. Jetzt genügt nicht mehr
die Beschwichtigung der Begierden, sondern es wird ihre
Sättigung gefordert. Die Bourgeoisie hat das Evangelium
des Weltgenusses, des materiellen Genusses verkündet und
wundert sich nun, daß diese Lehre unter Uns Armen Anhänger
findet; sie hat gezeigt, daß nicht Glaube und Armuth, sondern
Bildung und Besitz selig macht: das begreifen Wir Proleta¬
rier auch.

Von Befehl und Willkühr Einzelner befreite das Bürger¬
thum. Allein jene Willkühr blieb übrig, welche aus der Con¬
junctur der Verhältnisse entspringt und die Zufälligkeit der Um¬
stände genannt werden kann; es blieben das begünstigende
Glück und die "vom Glück Begünstigten" übrig.

Wenn z. B. ein Gewerbszweig zu Grunde geht und
Tausende von Arbeitern brodlos werden, so denkt man billig
genug, um zu bekennen, daß nicht der Einzelne die Schuld
trägt, sondern "das Uebel in den Verhältnissen liegt."

Aendern Wir denn die Verhältnisse, aber ändern Wir sie
durchgreifend und so, daß ihre Zufälligkeit ohnmächtig wird
und ein Gesetz! Seien Wir nicht länger Sklaven des Zu¬
falls! Schaffen Wir eine neue Ordnung, die den Schwan¬
kungen
ein Ende macht. Diese Ordnung sei dann heilig!

Früher mußte man es den Herren recht machen, um zu
etwas zu kommen; nach der Revolution hieß es: Hasche das
Glück! Glücksjagd oder Hazardspiel, darin ging das bürger¬
liche Leben auf. Daneben dann die Forderung, daß, wer et¬
was erlangt hat, dieß nicht leichtsinnig wieder aufs Spiel setze.

Seltsamer und doch höchst natürlicher Widerspruch. Die
Concurrenz, in der allein das bürgerliche oder politische Leben
sich abwickelt, ist durch und durch ein Glücksspiel, von den

und ihre Empörung nicht aufkommen. Jetzt genügt nicht mehr
die Beſchwichtigung der Begierden, ſondern es wird ihre
Sättigung gefordert. Die Bourgeoiſie hat das Evangelium
des Weltgenuſſes, des materiellen Genuſſes verkündet und
wundert ſich nun, daß dieſe Lehre unter Uns Armen Anhänger
findet; ſie hat gezeigt, daß nicht Glaube und Armuth, ſondern
Bildung und Beſitz ſelig macht: das begreifen Wir Proleta¬
rier auch.

Von Befehl und Willkühr Einzelner befreite das Bürger¬
thum. Allein jene Willkühr blieb übrig, welche aus der Con¬
junctur der Verhältniſſe entſpringt und die Zufälligkeit der Um¬
ſtände genannt werden kann; es blieben das begünſtigende
Glück und die „vom Glück Begünſtigten“ übrig.

Wenn z. B. ein Gewerbszweig zu Grunde geht und
Tauſende von Arbeitern brodlos werden, ſo denkt man billig
genug, um zu bekennen, daß nicht der Einzelne die Schuld
trägt, ſondern „das Uebel in den Verhältniſſen liegt.“

Aendern Wir denn die Verhältniſſe, aber ändern Wir ſie
durchgreifend und ſo, daß ihre Zufälligkeit ohnmächtig wird
und ein Geſetz! Seien Wir nicht länger Sklaven des Zu¬
falls! Schaffen Wir eine neue Ordnung, die den Schwan¬
kungen
ein Ende macht. Dieſe Ordnung ſei dann heilig!

Früher mußte man es den Herren recht machen, um zu
etwas zu kommen; nach der Revolution hieß es: Haſche das
Glück! Glücksjagd oder Hazardſpiel, darin ging das bürger¬
liche Leben auf. Daneben dann die Forderung, daß, wer et¬
was erlangt hat, dieß nicht leichtſinnig wieder aufs Spiel ſetze.

Seltſamer und doch höchſt natürlicher Widerſpruch. Die
Concurrenz, in der allein das bürgerliche oder politiſche Leben
ſich abwickelt, iſt durch und durch ein Glücksſpiel, von den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0167" n="159"/>
und ihre Empörung nicht aufkommen. Jetzt genügt nicht mehr<lb/>
die <hi rendition="#g">Be&#x017F;chwichtigung</hi> der Begierden, &#x017F;ondern es wird ihre<lb/><hi rendition="#g">Sättigung</hi> gefordert. Die Bourgeoi&#x017F;ie hat das Evangelium<lb/>
des <hi rendition="#g">Weltgenu&#x017F;&#x017F;es</hi>, des materiellen Genu&#x017F;&#x017F;es verkündet und<lb/>
wundert &#x017F;ich nun, daß die&#x017F;e Lehre unter Uns Armen Anhänger<lb/>
findet; &#x017F;ie hat gezeigt, daß nicht Glaube und Armuth, &#x017F;ondern<lb/>
Bildung und Be&#x017F;itz &#x017F;elig macht: das begreifen Wir Proleta¬<lb/>
rier auch.</p><lb/>
              <p>Von Befehl und Willkühr Einzelner befreite das Bürger¬<lb/>
thum. Allein jene Willkühr blieb übrig, welche aus der Con¬<lb/>
junctur der Verhältni&#x017F;&#x017F;e ent&#x017F;pringt und die Zufälligkeit der Um¬<lb/>
&#x017F;tände genannt werden kann; es blieben das begün&#x017F;tigende<lb/><hi rendition="#g">Glück</hi> und die &#x201E;vom Glück Begün&#x017F;tigten&#x201C; übrig.</p><lb/>
              <p>Wenn z. B. ein Gewerbszweig zu Grunde geht und<lb/>
Tau&#x017F;ende von Arbeitern brodlos werden, &#x017F;o denkt man billig<lb/>
genug, um zu bekennen, daß nicht der Einzelne die Schuld<lb/>
trägt, &#x017F;ondern &#x201E;das Uebel in den Verhältni&#x017F;&#x017F;en liegt.&#x201C;</p><lb/>
              <p>Aendern Wir denn die Verhältni&#x017F;&#x017F;e, aber ändern Wir &#x017F;ie<lb/>
durchgreifend und &#x017F;o, daß ihre Zufälligkeit ohnmächtig wird<lb/>
und ein <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etz</hi>! Seien Wir nicht länger Sklaven des Zu¬<lb/>
falls! Schaffen Wir eine neue Ordnung, die den <hi rendition="#g">Schwan¬<lb/>
kungen</hi> ein Ende macht. Die&#x017F;e Ordnung &#x017F;ei dann heilig!</p><lb/>
              <p>Früher mußte man es den <hi rendition="#g">Herren</hi> recht machen, um zu<lb/>
etwas zu kommen; nach der Revolution hieß es: Ha&#x017F;che das<lb/><hi rendition="#g">Glück</hi>! Glücksjagd oder Hazard&#x017F;piel, darin ging das bürger¬<lb/>
liche Leben auf. Daneben dann die Forderung, daß, wer et¬<lb/>
was erlangt hat, dieß nicht leicht&#x017F;innig wieder aufs Spiel &#x017F;etze.</p><lb/>
              <p>Selt&#x017F;amer und doch höch&#x017F;t natürlicher Wider&#x017F;pruch. Die<lb/>
Concurrenz, in der allein das bürgerliche oder politi&#x017F;che Leben<lb/>
&#x017F;ich abwickelt, i&#x017F;t durch und durch ein Glücks&#x017F;piel, von den<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0167] und ihre Empörung nicht aufkommen. Jetzt genügt nicht mehr die Beſchwichtigung der Begierden, ſondern es wird ihre Sättigung gefordert. Die Bourgeoiſie hat das Evangelium des Weltgenuſſes, des materiellen Genuſſes verkündet und wundert ſich nun, daß dieſe Lehre unter Uns Armen Anhänger findet; ſie hat gezeigt, daß nicht Glaube und Armuth, ſondern Bildung und Beſitz ſelig macht: das begreifen Wir Proleta¬ rier auch. Von Befehl und Willkühr Einzelner befreite das Bürger¬ thum. Allein jene Willkühr blieb übrig, welche aus der Con¬ junctur der Verhältniſſe entſpringt und die Zufälligkeit der Um¬ ſtände genannt werden kann; es blieben das begünſtigende Glück und die „vom Glück Begünſtigten“ übrig. Wenn z. B. ein Gewerbszweig zu Grunde geht und Tauſende von Arbeitern brodlos werden, ſo denkt man billig genug, um zu bekennen, daß nicht der Einzelne die Schuld trägt, ſondern „das Uebel in den Verhältniſſen liegt.“ Aendern Wir denn die Verhältniſſe, aber ändern Wir ſie durchgreifend und ſo, daß ihre Zufälligkeit ohnmächtig wird und ein Geſetz! Seien Wir nicht länger Sklaven des Zu¬ falls! Schaffen Wir eine neue Ordnung, die den Schwan¬ kungen ein Ende macht. Dieſe Ordnung ſei dann heilig! Früher mußte man es den Herren recht machen, um zu etwas zu kommen; nach der Revolution hieß es: Haſche das Glück! Glücksjagd oder Hazardſpiel, darin ging das bürger¬ liche Leben auf. Daneben dann die Forderung, daß, wer et¬ was erlangt hat, dieß nicht leichtſinnig wieder aufs Spiel ſetze. Seltſamer und doch höchſt natürlicher Widerſpruch. Die Concurrenz, in der allein das bürgerliche oder politiſche Leben ſich abwickelt, iſt durch und durch ein Glücksſpiel, von den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/167
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/167>, abgerufen am 25.11.2024.