um die Schultern hängen hatte, und unverwandt auf die Gesellschaft hinein sah.
"Lauf, Julius," sagte der Vater, "und frage, ob er etwas wünscht."
Der Knabe lief hin, redete mit dem Manne, kam zurük, und sagte: "Eingelassen wünscht er zu werden, er sagt, er sei nicht ganz fremd."
Der Knabe erhielt den Schlüssel, den man zur Bequemlichkeit bei Spaziergängen immer mit sich führte, er schloß das Thor auf, der Fremde ging herein, stieg den Hügel hinan, und stellte sich der Gesellschaft vor.
Man erkannte ihn augenbliklich. Es war der junge Mann aus jener schreklichen Kriegesnacht. Aber er war nun kein Jüngling mehr sondern ein freundlicher Mann, der so gütig blikte, daß man unmöglich hätte glauben können, daß er derselbe sei, der damals das fürchter¬ liche Spiel auf Leben und Sterben getrieben habe.
"Verzeihen Sie, meine Herrn und Frauen," sagte er, "daß ich zu Ihnen komme, ich bin ihnen nicht fremd, Sie haben nicht Ursache, mir irgend gut zu sein; aber Sie werden mich doch auch nicht hassen, was ich daraus schließen muß, daß seit den vielen Jahren her keine Genugthuung von mir wegen jener Nacht gefodert worden ist."
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um die Schultern hängen hatte, und unverwandt auf die Geſellſchaft hinein ſah.
„Lauf, Julius,“ ſagte der Vater, „und frage, ob er etwas wünſcht.“
Der Knabe lief hin, redete mit dem Manne, kam zurük, und ſagte: „Eingelaſſen wünſcht er zu werden, er ſagt, er ſei nicht ganz fremd.“
Der Knabe erhielt den Schlüſſel, den man zur Bequemlichkeit bei Spaziergängen immer mit ſich führte, er ſchloß das Thor auf, der Fremde ging herein, ſtieg den Hügel hinan, und ſtellte ſich der Geſellſchaft vor.
Man erkannte ihn augenbliklich. Es war der junge Mann aus jener ſchreklichen Kriegesnacht. Aber er war nun kein Jüngling mehr ſondern ein freundlicher Mann, der ſo gütig blikte, daß man unmöglich hätte glauben können, daß er derſelbe ſei, der damals das fürchter¬ liche Spiel auf Leben und Sterben getrieben habe.
„Verzeihen Sie, meine Herrn und Frauen,“ ſagte er, „daß ich zu Ihnen komme, ich bin ihnen nicht fremd, Sie haben nicht Urſache, mir irgend gut zu ſein; aber Sie werden mich doch auch nicht haſſen, was ich daraus ſchließen muß, daß ſeit den vielen Jahren her keine Genugthuung von mir wegen jener Nacht gefodert worden iſt.“
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um die Schultern hängen hatte, und unverwandt auf
die Geſellſchaft hinein ſah.
„Lauf, Julius,“ ſagte der Vater, „und frage, ob
er etwas wünſcht.“
Der Knabe lief hin, redete mit dem Manne, kam
zurük, und ſagte: „Eingelaſſen wünſcht er zu werden,
er ſagt, er ſei nicht ganz fremd.“
Der Knabe erhielt den Schlüſſel, den man zur
Bequemlichkeit bei Spaziergängen immer mit ſich
führte, er ſchloß das Thor auf, der Fremde ging
herein, ſtieg den Hügel hinan, und ſtellte ſich der
Geſellſchaft vor.
Man erkannte ihn augenbliklich. Es war der junge
Mann aus jener ſchreklichen Kriegesnacht. Aber er war
nun kein Jüngling mehr ſondern ein freundlicher Mann,
der ſo gütig blikte, daß man unmöglich hätte glauben
können, daß er derſelbe ſei, der damals das fürchter¬
liche Spiel auf Leben und Sterben getrieben habe.
„Verzeihen Sie, meine Herrn und Frauen,“ ſagte
er, „daß ich zu Ihnen komme, ich bin ihnen nicht
fremd, Sie haben nicht Urſache, mir irgend gut zu
ſein; aber Sie werden mich doch auch nicht haſſen,
was ich daraus ſchließen muß, daß ſeit den vielen
Jahren her keine Genugthuung von mir wegen jener
Nacht gefodert worden iſt.“
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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/270>, abgerufen am 22.07.2024.
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