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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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das Flötenspiel auf einem eigenthümlichen Wege ge¬
lernt haben, er stimmt richtig an, er fährt nicht fort,
er verhaftet die Sache, er kann mit dem Hauche nicht
haushalten, er überstürzt ihn, und reißt ihn ab, und
hat doch eine Gattung Herz darin."

Wir konnten auch nicht ergründen, woher das
Spiel kam, fast hätten wir geglaubt, daß es aus dem
alten Perronschen Hause klinge, in dessen Nähe wir
uns befanden; aber das Haus war im Begriffe abge¬
tragen zu werden, es war schon nur mehr sehr wenig
bewohnt, und die Töne klangen durchaus nicht, als
kämen sie von irgend einem Fenster herab.

Als wir noch ein Weilchen gestanden waren, gin¬
gen wir weiter, das seltsame Flötenspiel wurde hinter
uns undeutlich, endlich hörten wir es gar nicht mehr,
wir kamen nach Hause, und begaben uns neben un¬
sern Kindern, die schon mehr als die Hälfte ihres er¬
quikenden Schlafes ausgeschlafen hatten, zur Ruhe.

Nach dieser Begebenheit verging wieder eine ge¬
raume Zeit.

Wer schon länger in unserer Stadt lebt, wird sich
noch des alten Perronschen Hauses erinnern. Wer
überhaupt etwa fünfzehn bis zwanzig Jahre her Wien
kennt, der wird wissen, daß diese Stadt in beständigem
Umwandeln begriffen, und daß sie troz ihres Alters eine

das Flötenſpiel auf einem eigenthümlichen Wege ge¬
lernt haben, er ſtimmt richtig an, er fährt nicht fort,
er verhaftet die Sache, er kann mit dem Hauche nicht
haushalten, er überſtürzt ihn, und reißt ihn ab, und
hat doch eine Gattung Herz darin.“

Wir konnten auch nicht ergründen, woher das
Spiel kam, faſt hätten wir geglaubt, daß es aus dem
alten Perronſchen Hauſe klinge, in deſſen Nähe wir
uns befanden; aber das Haus war im Begriffe abge¬
tragen zu werden, es war ſchon nur mehr ſehr wenig
bewohnt, und die Töne klangen durchaus nicht, als
kämen ſie von irgend einem Fenſter herab.

Als wir noch ein Weilchen geſtanden waren, gin¬
gen wir weiter, das ſeltſame Flötenſpiel wurde hinter
uns undeutlich, endlich hörten wir es gar nicht mehr,
wir kamen nach Hauſe, und begaben uns neben un¬
ſern Kindern, die ſchon mehr als die Hälfte ihres er¬
quikenden Schlafes ausgeſchlafen hatten, zur Ruhe.

Nach dieſer Begebenheit verging wieder eine ge¬
raume Zeit.

Wer ſchon länger in unſerer Stadt lebt, wird ſich
noch des alten Perronſchen Hauſes erinnern. Wer
überhaupt etwa fünfzehn bis zwanzig Jahre her Wien
kennt, der wird wiſſen, daß dieſe Stadt in beſtändigem
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[226/0239] das Flötenſpiel auf einem eigenthümlichen Wege ge¬ lernt haben, er ſtimmt richtig an, er fährt nicht fort, er verhaftet die Sache, er kann mit dem Hauche nicht haushalten, er überſtürzt ihn, und reißt ihn ab, und hat doch eine Gattung Herz darin.“ Wir konnten auch nicht ergründen, woher das Spiel kam, faſt hätten wir geglaubt, daß es aus dem alten Perronſchen Hauſe klinge, in deſſen Nähe wir uns befanden; aber das Haus war im Begriffe abge¬ tragen zu werden, es war ſchon nur mehr ſehr wenig bewohnt, und die Töne klangen durchaus nicht, als kämen ſie von irgend einem Fenſter herab. Als wir noch ein Weilchen geſtanden waren, gin¬ gen wir weiter, das ſeltſame Flötenſpiel wurde hinter uns undeutlich, endlich hörten wir es gar nicht mehr, wir kamen nach Hauſe, und begaben uns neben un¬ ſern Kindern, die ſchon mehr als die Hälfte ihres er¬ quikenden Schlafes ausgeſchlafen hatten, zur Ruhe. Nach dieſer Begebenheit verging wieder eine ge¬ raume Zeit. Wer ſchon länger in unſerer Stadt lebt, wird ſich noch des alten Perronſchen Hauſes erinnern. Wer überhaupt etwa fünfzehn bis zwanzig Jahre her Wien kennt, der wird wiſſen, daß dieſe Stadt in beſtändigem Umwandeln begriffen, und daß ſie troz ihres Alters eine

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/239>, abgerufen am 30.04.2024.