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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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sehr lange und fast bis in das Greisenalter hinein
behauptet hat. Der Mann Namens Dall war vor¬
züglich im Trauerspiele berühmt, obwohl er auch in
andern Fächern namentlich im Schauspiele mit unge¬
wöhnlichem Erfolge auftrat. Es haben sich noch Er¬
zählungen von einzelnen Augenbliken erhalten, in
denen er die Zuschauer bis zum Äußersten hinriß, zur
äußersten Begeisterung oder zum äußersten Schauer,
so daß sie nicht mehr im Theater sondern in der
Wirklichkeit zu sein meinten, und mit Bangen den
weiteren Verlauf der Dinge erwarteten. Besonders
soll seine Darstellung hoher Personen von einer
solchen Würde und Majestät gewesen sein, daß seither
nichts mehr dem Ähnliches auf der Bühne zum Vor¬
scheine gekommen sei. Ein sehr gründlicher Kenner
solcher Dinge sagte einst, daß Dall seine Rollen nicht
durch künstliches Nachsinnen oder durch Vorberei¬
tungen und Einübungen sich zurecht gelegt, sondern
daß er sich in dieselben, wenn sie seinem Wesen zusag¬
ten, hineingelebt habe, daß er sich dann auf seine
Persönlichkeit verließ, die ihm im rechten Augenblike
eingab, was er zu thun habe, und daß er auf diese
Weise nicht die Rollen spielte, sondern das in ihnen
Geschilderte wirklich war. Daraus erklärt sich, daß,
wenn er sich der Lage grenzenlos hingab, er im

ſehr lange und faſt bis in das Greiſenalter hinein
behauptet hat. Der Mann Namens Dall war vor¬
züglich im Trauerſpiele berühmt, obwohl er auch in
andern Fächern namentlich im Schauſpiele mit unge¬
wöhnlichem Erfolge auftrat. Es haben ſich noch Er¬
zählungen von einzelnen Augenbliken erhalten, in
denen er die Zuſchauer bis zum Äußerſten hinriß, zur
äußerſten Begeiſterung oder zum äußerſten Schauer,
ſo daß ſie nicht mehr im Theater ſondern in der
Wirklichkeit zu ſein meinten, und mit Bangen den
weiteren Verlauf der Dinge erwarteten. Beſonders
ſoll ſeine Darſtellung hoher Perſonen von einer
ſolchen Würde und Majeſtät geweſen ſein, daß ſeither
nichts mehr dem Ähnliches auf der Bühne zum Vor¬
ſcheine gekommen ſei. Ein ſehr gründlicher Kenner
ſolcher Dinge ſagte einſt, daß Dall ſeine Rollen nicht
durch künſtliches Nachſinnen oder durch Vorberei¬
tungen und Einübungen ſich zurecht gelegt, ſondern
daß er ſich in dieſelben, wenn ſie ſeinem Weſen zuſag¬
ten, hineingelebt habe, daß er ſich dann auf ſeine
Perſönlichkeit verließ, die ihm im rechten Augenblike
eingab, was er zu thun habe, und daß er auf dieſe
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[205/0218] ſehr lange und faſt bis in das Greiſenalter hinein behauptet hat. Der Mann Namens Dall war vor¬ züglich im Trauerſpiele berühmt, obwohl er auch in andern Fächern namentlich im Schauſpiele mit unge¬ wöhnlichem Erfolge auftrat. Es haben ſich noch Er¬ zählungen von einzelnen Augenbliken erhalten, in denen er die Zuſchauer bis zum Äußerſten hinriß, zur äußerſten Begeiſterung oder zum äußerſten Schauer, ſo daß ſie nicht mehr im Theater ſondern in der Wirklichkeit zu ſein meinten, und mit Bangen den weiteren Verlauf der Dinge erwarteten. Beſonders ſoll ſeine Darſtellung hoher Perſonen von einer ſolchen Würde und Majeſtät geweſen ſein, daß ſeither nichts mehr dem Ähnliches auf der Bühne zum Vor¬ ſcheine gekommen ſei. Ein ſehr gründlicher Kenner ſolcher Dinge ſagte einſt, daß Dall ſeine Rollen nicht durch künſtliches Nachſinnen oder durch Vorberei¬ tungen und Einübungen ſich zurecht gelegt, ſondern daß er ſich in dieſelben, wenn ſie ſeinem Weſen zuſag¬ ten, hineingelebt habe, daß er ſich dann auf ſeine Perſönlichkeit verließ, die ihm im rechten Augenblike eingab, was er zu thun habe, und daß er auf dieſe Weiſe nicht die Rollen ſpielte, ſondern das in ihnen Geſchilderte wirklich war. Daraus erklärt ſich, daß, wenn er ſich der Lage grenzenlos hingab, er im

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/218>, abgerufen am 30.04.2024.