Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

"Und warum hast du nicht in früheren Sommern
etwas gesagt?"

"Weil nichts zu sagen war. Es ist erst jezt zu gegen¬
seitiger Kenntniß gekommen, und da bin ich hergeeilt,
mich den Meinigen zu offenbaren. Als das Gefühl
nur das meine war, und die Zukunft sich noch ver¬
hüllte, dürfte ich nicht reden, weil es mir nicht männ¬
lich schien, und weil die Empfindung, die vielleicht
in Kurzem gänzlich weggethan werden mußte, durch
Worte nicht gesteigert werden durfte."

"Ich habe es immer geahnt," sagte Klotilde, "und
habe dir immer das höchste und größte Glück ge¬
wünscht. Sie muß sehr gut sehr lieb sehr treu sein.
Ich habe nur das Verlangen, daß sie dich so liebt
wie ich."

"Klotilde," antwortete ich, "du wirst sie sehen, du
wirst sie kennen lernen, du wirst sie lieben; und wenn
sie mich dann auch nicht mit der in der Geburt ge¬
gründeten schwesterlichen Liebe liebt, so liebt sie mich
mit einer anderen, die auch mein Glück dein Glück
das Glück der Eltern vermehren wird."

"Ich habe oft gedacht, wenn du von ihr erzähltest,
wie wenig du auch sagtest, und gerade, weil du wenig
sagtest," fuhr sie fort, "daß sich etwa da ein Band ent¬

„Und warum haſt du nicht in früheren Sommern
etwas geſagt?“

„Weil nichts zu ſagen war. Es iſt erſt jezt zu gegen¬
ſeitiger Kenntniß gekommen, und da bin ich hergeeilt,
mich den Meinigen zu offenbaren. Als das Gefühl
nur das meine war, und die Zukunft ſich noch ver¬
hüllte, dürfte ich nicht reden, weil es mir nicht männ¬
lich ſchien, und weil die Empfindung, die vielleicht
in Kurzem gänzlich weggethan werden mußte, durch
Worte nicht geſteigert werden durfte.“

„Ich habe es immer geahnt,“ ſagte Klotilde, „und
habe dir immer das höchſte und größte Glück ge¬
wünſcht. Sie muß ſehr gut ſehr lieb ſehr treu ſein.
Ich habe nur das Verlangen, daß ſie dich ſo liebt
wie ich.“

„Klotilde,“ antwortete ich, „du wirſt ſie ſehen, du
wirſt ſie kennen lernen, du wirſt ſie lieben; und wenn
ſie mich dann auch nicht mit der in der Geburt ge¬
gründeten ſchweſterlichen Liebe liebt, ſo liebt ſie mich
mit einer anderen, die auch mein Glück dein Glück
das Glück der Eltern vermehren wird.“

„Ich habe oft gedacht, wenn du von ihr erzählteſt,
wie wenig du auch ſagteſt, und gerade, weil du wenig
ſagteſt,“ fuhr ſie fort, „daß ſich etwa da ein Band ent¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0060" n="46"/>
        <p>&#x201E;Und warum ha&#x017F;t du nicht in früheren Sommern<lb/>
etwas ge&#x017F;agt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weil nichts zu &#x017F;agen war. Es i&#x017F;t er&#x017F;t jezt zu gegen¬<lb/>
&#x017F;eitiger Kenntniß gekommen, und da bin ich hergeeilt,<lb/>
mich den Meinigen zu offenbaren. Als das Gefühl<lb/>
nur das meine war, und die Zukunft &#x017F;ich noch ver¬<lb/>
hüllte, dürfte ich nicht reden, weil es mir nicht männ¬<lb/>
lich &#x017F;chien, und weil die Empfindung, die vielleicht<lb/>
in Kurzem gänzlich weggethan werden mußte, durch<lb/>
Worte nicht ge&#x017F;teigert werden durfte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe es immer geahnt,&#x201C; &#x017F;agte Klotilde, &#x201E;und<lb/>
habe dir immer das höch&#x017F;te und größte Glück ge¬<lb/>
wün&#x017F;cht. Sie muß &#x017F;ehr gut &#x017F;ehr lieb &#x017F;ehr treu &#x017F;ein.<lb/>
Ich habe nur das Verlangen, daß &#x017F;ie dich &#x017F;o liebt<lb/>
wie ich.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Klotilde,&#x201C; antwortete ich, &#x201E;du wir&#x017F;t &#x017F;ie &#x017F;ehen, du<lb/>
wir&#x017F;t &#x017F;ie kennen lernen, du wir&#x017F;t &#x017F;ie lieben; und wenn<lb/>
&#x017F;ie mich dann auch nicht mit der in der Geburt ge¬<lb/>
gründeten &#x017F;chwe&#x017F;terlichen Liebe liebt, &#x017F;o liebt &#x017F;ie mich<lb/>
mit einer anderen, die auch mein Glück dein Glück<lb/>
das Glück der Eltern vermehren wird.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe oft gedacht, wenn du von ihr erzählte&#x017F;t,<lb/>
wie wenig du auch &#x017F;agte&#x017F;t, und gerade, weil du wenig<lb/>
&#x017F;agte&#x017F;t,&#x201C; fuhr &#x017F;ie fort, &#x201E;daß &#x017F;ich etwa da ein Band ent¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0060] „Und warum haſt du nicht in früheren Sommern etwas geſagt?“ „Weil nichts zu ſagen war. Es iſt erſt jezt zu gegen¬ ſeitiger Kenntniß gekommen, und da bin ich hergeeilt, mich den Meinigen zu offenbaren. Als das Gefühl nur das meine war, und die Zukunft ſich noch ver¬ hüllte, dürfte ich nicht reden, weil es mir nicht männ¬ lich ſchien, und weil die Empfindung, die vielleicht in Kurzem gänzlich weggethan werden mußte, durch Worte nicht geſteigert werden durfte.“ „Ich habe es immer geahnt,“ ſagte Klotilde, „und habe dir immer das höchſte und größte Glück ge¬ wünſcht. Sie muß ſehr gut ſehr lieb ſehr treu ſein. Ich habe nur das Verlangen, daß ſie dich ſo liebt wie ich.“ „Klotilde,“ antwortete ich, „du wirſt ſie ſehen, du wirſt ſie kennen lernen, du wirſt ſie lieben; und wenn ſie mich dann auch nicht mit der in der Geburt ge¬ gründeten ſchweſterlichen Liebe liebt, ſo liebt ſie mich mit einer anderen, die auch mein Glück dein Glück das Glück der Eltern vermehren wird.“ „Ich habe oft gedacht, wenn du von ihr erzählteſt, wie wenig du auch ſagteſt, und gerade, weil du wenig ſagteſt,“ fuhr ſie fort, „daß ſich etwa da ein Band ent¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/60
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/60>, abgerufen am 25.11.2024.