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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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zeitig einen Weg gehen, den ich heute schon einmal
gehen wollte, und den ich jezt wirklich gehe."

"Wie habt ihr denn die Nacht zugebracht, Natalie?"
fragte ich.

"Ich habe sehr lange den Schlummer nicht ge¬
funden," antwortete sie, "dann kam er doch in sehr
leichter flüchtiger Gestalt. Ich erwachte bald, und
stand auf. Am Morgen wollte ich auf diesen Weg
heraus gehen, und ihn bis über die Felderanhöhe
fortsezen; aber ich hatte ein Kleid angezogen, wel¬
ches zu einem Gange außer dem Hause nicht taug¬
lich war. Ich mußte mich daher später umkleiden,
und ging jezt heraus, um die Morgenluft zu ge¬
nießen."

Ich sah wirklich, daß sie das lichte graue Kleid
mit den feinen tiefrothen Streifen nicht mehr an
habe, sondern ein einfacheres kürzeres mattbrau¬
nes trage. Jenes Kleid wäre freilich zu einem
Morgenspaziergange nicht tauglich gewesen, weil es
in reichen Falten fast bis auf den Fußboden nieder
ging. Sie hatte jezt einen leichten Strohhut auf
dem Haupte, welchen sie immer bei ihren Wande¬
rungen durch die Felder trug. Ich fragte sie, ob sie
glaube, daß noch so viel Zeit vor dem Frühmahle sei,

zeitig einen Weg gehen, den ich heute ſchon einmal
gehen wollte, und den ich jezt wirklich gehe.“

„Wie habt ihr denn die Nacht zugebracht, Natalie?“
fragte ich.

„Ich habe ſehr lange den Schlummer nicht ge¬
funden,“ antwortete ſie, „dann kam er doch in ſehr
leichter flüchtiger Geſtalt. Ich erwachte bald, und
ſtand auf. Am Morgen wollte ich auf dieſen Weg
heraus gehen, und ihn bis über die Felderanhöhe
fortſezen; aber ich hatte ein Kleid angezogen, wel¬
ches zu einem Gange außer dem Hauſe nicht taug¬
lich war. Ich mußte mich daher ſpäter umkleiden,
und ging jezt heraus, um die Morgenluft zu ge¬
nießen.“

Ich ſah wirklich, daß ſie das lichte graue Kleid
mit den feinen tiefrothen Streifen nicht mehr an
habe, ſondern ein einfacheres kürzeres mattbrau¬
nes trage. Jenes Kleid wäre freilich zu einem
Morgenſpaziergange nicht tauglich geweſen, weil es
in reichen Falten faſt bis auf den Fußboden nieder
ging. Sie hatte jezt einen leichten Strohhut auf
dem Haupte, welchen ſie immer bei ihren Wande¬
rungen durch die Felder trug. Ich fragte ſie, ob ſie
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[16/0030] zeitig einen Weg gehen, den ich heute ſchon einmal gehen wollte, und den ich jezt wirklich gehe.“ „Wie habt ihr denn die Nacht zugebracht, Natalie?“ fragte ich. „Ich habe ſehr lange den Schlummer nicht ge¬ funden,“ antwortete ſie, „dann kam er doch in ſehr leichter flüchtiger Geſtalt. Ich erwachte bald, und ſtand auf. Am Morgen wollte ich auf dieſen Weg heraus gehen, und ihn bis über die Felderanhöhe fortſezen; aber ich hatte ein Kleid angezogen, wel¬ ches zu einem Gange außer dem Hauſe nicht taug¬ lich war. Ich mußte mich daher ſpäter umkleiden, und ging jezt heraus, um die Morgenluft zu ge¬ nießen.“ Ich ſah wirklich, daß ſie das lichte graue Kleid mit den feinen tiefrothen Streifen nicht mehr an habe, ſondern ein einfacheres kürzeres mattbrau¬ nes trage. Jenes Kleid wäre freilich zu einem Morgenſpaziergange nicht tauglich geweſen, weil es in reichen Falten faſt bis auf den Fußboden nieder ging. Sie hatte jezt einen leichten Strohhut auf dem Haupte, welchen ſie immer bei ihren Wande¬ rungen durch die Felder trug. Ich fragte ſie, ob ſie glaube, daß noch ſo viel Zeit vor dem Frühmahle ſei,

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/30>, abgerufen am 22.11.2024.