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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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ihren Zügen, wie ich sie an ihr, die immer die tiefste
Seele aussprach, doch nie gesehen hatte. Ich ver¬
stand auch, was die Gestalt sprach, ich hörte gleichsam
ihre inneren Worte: "Es ist nun eingetreten!" Sie
hatte mich nicht kommen gehört, weil der Teppich den
Fußboden des Ganges bedeckte, und sie konnte mich
nicht sehen, weil ihr Angesicht gegen Süden gerichtet
war. Ich beobachtete nur zwei Augenblicke ihre sin¬
nende Stellung, und ging dann leise vorüber und die
Treppe hinunter. Es erfüllte mich gleichsam mit einem
Meere von Wonne, Natalien von der nehmlichen
Empfindung beseelt zu sehen, die ich hatte, von der
Empfindung, sich das errungene kaum gehoffte und
so hoch gehaltene Gut geistig zu sichern, sich klar zu
machen, was man erhalten hat, und in welche neue
unermeßlich wichtige Wendung des Lebens man ein¬
getreten sei. Ich konnte es kaum fassen, daß ich es
sei, um den eine Gestalt, die das Schönste ausdrückt,
was mir bis jezt bekannt geworden ist, eine Gestalt, die
man wohl auch stolz geheißen, die sich bisher von jeder
Neigung abgewendet hatte, in diese tiefe sinnende
Empfindungen gesunken sei. Ich dachte mir, daß ich,
so lange ich lebe, und sollte mein Leben bis an die
äußerste Grenze des menschlichen Alters oder darüber

ihren Zügen, wie ich ſie an ihr, die immer die tiefſte
Seele ausſprach, doch nie geſehen hatte. Ich ver¬
ſtand auch, was die Geſtalt ſprach, ich hörte gleichſam
ihre inneren Worte: „Es iſt nun eingetreten!“ Sie
hatte mich nicht kommen gehört, weil der Teppich den
Fußboden des Ganges bedeckte, und ſie konnte mich
nicht ſehen, weil ihr Angeſicht gegen Süden gerichtet
war. Ich beobachtete nur zwei Augenblicke ihre ſin¬
nende Stellung, und ging dann leiſe vorüber und die
Treppe hinunter. Es erfüllte mich gleichſam mit einem
Meere von Wonne, Natalien von der nehmlichen
Empfindung beſeelt zu ſehen, die ich hatte, von der
Empfindung, ſich das errungene kaum gehoffte und
ſo hoch gehaltene Gut geiſtig zu ſichern, ſich klar zu
machen, was man erhalten hat, und in welche neue
unermeßlich wichtige Wendung des Lebens man ein¬
getreten ſei. Ich konnte es kaum faſſen, daß ich es
ſei, um den eine Geſtalt, die das Schönſte ausdrückt,
was mir bis jezt bekannt geworden iſt, eine Geſtalt, die
man wohl auch ſtolz geheißen, die ſich bisher von jeder
Neigung abgewendet hatte, in dieſe tiefe ſinnende
Empfindungen geſunken ſei. Ich dachte mir, daß ich,
ſo lange ich lebe, und ſollte mein Leben bis an die
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[10/0024] ihren Zügen, wie ich ſie an ihr, die immer die tiefſte Seele ausſprach, doch nie geſehen hatte. Ich ver¬ ſtand auch, was die Geſtalt ſprach, ich hörte gleichſam ihre inneren Worte: „Es iſt nun eingetreten!“ Sie hatte mich nicht kommen gehört, weil der Teppich den Fußboden des Ganges bedeckte, und ſie konnte mich nicht ſehen, weil ihr Angeſicht gegen Süden gerichtet war. Ich beobachtete nur zwei Augenblicke ihre ſin¬ nende Stellung, und ging dann leiſe vorüber und die Treppe hinunter. Es erfüllte mich gleichſam mit einem Meere von Wonne, Natalien von der nehmlichen Empfindung beſeelt zu ſehen, die ich hatte, von der Empfindung, ſich das errungene kaum gehoffte und ſo hoch gehaltene Gut geiſtig zu ſichern, ſich klar zu machen, was man erhalten hat, und in welche neue unermeßlich wichtige Wendung des Lebens man ein¬ getreten ſei. Ich konnte es kaum faſſen, daß ich es ſei, um den eine Geſtalt, die das Schönſte ausdrückt, was mir bis jezt bekannt geworden iſt, eine Geſtalt, die man wohl auch ſtolz geheißen, die ſich bisher von jeder Neigung abgewendet hatte, in dieſe tiefe ſinnende Empfindungen geſunken ſei. Ich dachte mir, daß ich, ſo lange ich lebe, und ſollte mein Leben bis an die äußerſte Grenze des menſchlichen Alters oder darüber

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/24>, abgerufen am 24.11.2024.