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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Tische, auf welchem zwei Zithern lagen, und von
welchem ein sehr reicher alterthümlicher Teppich nieder
hing. Sie war vollständig gleichsam wie zum Aus¬
gehen gekleidet, nur hatte sie keinen Hut auf dem
Haupte. Ihre schönen Locken waren auf dem Hinter¬
haupte geordnet und wurden von einem Bande oder
etwas Ähnlichem getragen. Das Kleid reichte wie
gewöhnlich bis zu dem Halse und schloß dort ohne
irgend einer fremden Zuthat. Es war wieder von
lichtem grauem Seidenstoffe, hatte aber sehr feine
stark rothe Streifen. Es schloß die Hüften sehr
genau, und ging dann in reichen Falten bis auf den
Fußboden nieder. Die Ärmel waren enge, reichten
bis zum Handgelenke, und hatten an diesem wie am
Oberarme dunkle Querstreifen, die wie ein Armband
schlossen. Natalie stand ganz aufrecht, ja der Ober¬
körper war sogar ein wenig zurückgebogen. Der linke
Arm war ausgestreckt, und stüzte sich mittelst eines
aufrecht stehenden Buches, auf das sie die Hand legte,
auf das Tischchen. Die rechte Hand lag leicht auf
dem linken Unterarm. Das unbeschreiblich schöne An¬
gesicht war in Ruhe, als hätten die Augen, die jezt
von den Lidern bedeckt waren, sich gesenkt und sie
dächte nach. Eine solche reine feine Geistigkeit war in

Tiſche, auf welchem zwei Zithern lagen, und von
welchem ein ſehr reicher alterthümlicher Teppich nieder
hing. Sie war vollſtändig gleichſam wie zum Aus¬
gehen gekleidet, nur hatte ſie keinen Hut auf dem
Haupte. Ihre ſchönen Locken waren auf dem Hinter¬
haupte geordnet und wurden von einem Bande oder
etwas Ähnlichem getragen. Das Kleid reichte wie
gewöhnlich bis zu dem Halſe und ſchloß dort ohne
irgend einer fremden Zuthat. Es war wieder von
lichtem grauem Seidenſtoffe, hatte aber ſehr feine
ſtark rothe Streifen. Es ſchloß die Hüften ſehr
genau, und ging dann in reichen Falten bis auf den
Fußboden nieder. Die Ärmel waren enge, reichten
bis zum Handgelenke, und hatten an dieſem wie am
Oberarme dunkle Querſtreifen, die wie ein Armband
ſchloſſen. Natalie ſtand ganz aufrecht, ja der Ober¬
körper war ſogar ein wenig zurückgebogen. Der linke
Arm war ausgeſtreckt, und ſtüzte ſich mittelſt eines
aufrecht ſtehenden Buches, auf das ſie die Hand legte,
auf das Tiſchchen. Die rechte Hand lag leicht auf
dem linken Unterarm. Das unbeſchreiblich ſchöne An¬
geſicht war in Ruhe, als hätten die Augen, die jezt
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[9/0023] Tiſche, auf welchem zwei Zithern lagen, und von welchem ein ſehr reicher alterthümlicher Teppich nieder hing. Sie war vollſtändig gleichſam wie zum Aus¬ gehen gekleidet, nur hatte ſie keinen Hut auf dem Haupte. Ihre ſchönen Locken waren auf dem Hinter¬ haupte geordnet und wurden von einem Bande oder etwas Ähnlichem getragen. Das Kleid reichte wie gewöhnlich bis zu dem Halſe und ſchloß dort ohne irgend einer fremden Zuthat. Es war wieder von lichtem grauem Seidenſtoffe, hatte aber ſehr feine ſtark rothe Streifen. Es ſchloß die Hüften ſehr genau, und ging dann in reichen Falten bis auf den Fußboden nieder. Die Ärmel waren enge, reichten bis zum Handgelenke, und hatten an dieſem wie am Oberarme dunkle Querſtreifen, die wie ein Armband ſchloſſen. Natalie ſtand ganz aufrecht, ja der Ober¬ körper war ſogar ein wenig zurückgebogen. Der linke Arm war ausgeſtreckt, und ſtüzte ſich mittelſt eines aufrecht ſtehenden Buches, auf das ſie die Hand legte, auf das Tiſchchen. Die rechte Hand lag leicht auf dem linken Unterarm. Das unbeſchreiblich ſchöne An¬ geſicht war in Ruhe, als hätten die Augen, die jezt von den Lidern bedeckt waren, ſich geſenkt und ſie dächte nach. Eine ſolche reine feine Geiſtigkeit war in

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/23>, abgerufen am 28.03.2024.