Tische, auf welchem zwei Zithern lagen, und von welchem ein sehr reicher alterthümlicher Teppich nieder hing. Sie war vollständig gleichsam wie zum Aus¬ gehen gekleidet, nur hatte sie keinen Hut auf dem Haupte. Ihre schönen Locken waren auf dem Hinter¬ haupte geordnet und wurden von einem Bande oder etwas Ähnlichem getragen. Das Kleid reichte wie gewöhnlich bis zu dem Halse und schloß dort ohne irgend einer fremden Zuthat. Es war wieder von lichtem grauem Seidenstoffe, hatte aber sehr feine stark rothe Streifen. Es schloß die Hüften sehr genau, und ging dann in reichen Falten bis auf den Fußboden nieder. Die Ärmel waren enge, reichten bis zum Handgelenke, und hatten an diesem wie am Oberarme dunkle Querstreifen, die wie ein Armband schlossen. Natalie stand ganz aufrecht, ja der Ober¬ körper war sogar ein wenig zurückgebogen. Der linke Arm war ausgestreckt, und stüzte sich mittelst eines aufrecht stehenden Buches, auf das sie die Hand legte, auf das Tischchen. Die rechte Hand lag leicht auf dem linken Unterarm. Das unbeschreiblich schöne An¬ gesicht war in Ruhe, als hätten die Augen, die jezt von den Lidern bedeckt waren, sich gesenkt und sie dächte nach. Eine solche reine feine Geistigkeit war in
Tiſche, auf welchem zwei Zithern lagen, und von welchem ein ſehr reicher alterthümlicher Teppich nieder hing. Sie war vollſtändig gleichſam wie zum Aus¬ gehen gekleidet, nur hatte ſie keinen Hut auf dem Haupte. Ihre ſchönen Locken waren auf dem Hinter¬ haupte geordnet und wurden von einem Bande oder etwas Ähnlichem getragen. Das Kleid reichte wie gewöhnlich bis zu dem Halſe und ſchloß dort ohne irgend einer fremden Zuthat. Es war wieder von lichtem grauem Seidenſtoffe, hatte aber ſehr feine ſtark rothe Streifen. Es ſchloß die Hüften ſehr genau, und ging dann in reichen Falten bis auf den Fußboden nieder. Die Ärmel waren enge, reichten bis zum Handgelenke, und hatten an dieſem wie am Oberarme dunkle Querſtreifen, die wie ein Armband ſchloſſen. Natalie ſtand ganz aufrecht, ja der Ober¬ körper war ſogar ein wenig zurückgebogen. Der linke Arm war ausgeſtreckt, und ſtüzte ſich mittelſt eines aufrecht ſtehenden Buches, auf das ſie die Hand legte, auf das Tiſchchen. Die rechte Hand lag leicht auf dem linken Unterarm. Das unbeſchreiblich ſchöne An¬ geſicht war in Ruhe, als hätten die Augen, die jezt von den Lidern bedeckt waren, ſich geſenkt und ſie dächte nach. Eine ſolche reine feine Geiſtigkeit war in
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0023"n="9"/>
Tiſche, auf welchem zwei Zithern lagen, und von<lb/>
welchem ein ſehr reicher alterthümlicher Teppich nieder<lb/>
hing. Sie war vollſtändig gleichſam wie zum Aus¬<lb/>
gehen gekleidet, nur hatte ſie keinen Hut auf dem<lb/>
Haupte. Ihre ſchönen Locken waren auf dem Hinter¬<lb/>
haupte geordnet und wurden von einem Bande oder<lb/>
etwas Ähnlichem getragen. Das Kleid reichte wie<lb/>
gewöhnlich bis zu dem Halſe und ſchloß dort ohne<lb/>
irgend einer fremden Zuthat. Es war wieder von<lb/>
lichtem grauem Seidenſtoffe, hatte aber ſehr feine<lb/>ſtark rothe Streifen. Es ſchloß die Hüften ſehr<lb/>
genau, und ging dann in reichen Falten bis auf den<lb/>
Fußboden nieder. Die Ärmel waren enge, reichten<lb/>
bis zum Handgelenke, und hatten an dieſem wie am<lb/>
Oberarme dunkle Querſtreifen, die wie ein Armband<lb/>ſchloſſen. Natalie ſtand ganz aufrecht, ja der Ober¬<lb/>
körper war ſogar ein wenig zurückgebogen. Der linke<lb/>
Arm war ausgeſtreckt, und ſtüzte ſich mittelſt eines<lb/>
aufrecht ſtehenden Buches, auf das ſie die Hand legte,<lb/>
auf das Tiſchchen. Die rechte Hand lag leicht auf<lb/>
dem linken Unterarm. Das unbeſchreiblich ſchöne An¬<lb/>
geſicht war in Ruhe, als hätten die Augen, die jezt<lb/>
von den Lidern bedeckt waren, ſich geſenkt und ſie<lb/>
dächte nach. Eine ſolche reine feine Geiſtigkeit war in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[9/0023]
Tiſche, auf welchem zwei Zithern lagen, und von
welchem ein ſehr reicher alterthümlicher Teppich nieder
hing. Sie war vollſtändig gleichſam wie zum Aus¬
gehen gekleidet, nur hatte ſie keinen Hut auf dem
Haupte. Ihre ſchönen Locken waren auf dem Hinter¬
haupte geordnet und wurden von einem Bande oder
etwas Ähnlichem getragen. Das Kleid reichte wie
gewöhnlich bis zu dem Halſe und ſchloß dort ohne
irgend einer fremden Zuthat. Es war wieder von
lichtem grauem Seidenſtoffe, hatte aber ſehr feine
ſtark rothe Streifen. Es ſchloß die Hüften ſehr
genau, und ging dann in reichen Falten bis auf den
Fußboden nieder. Die Ärmel waren enge, reichten
bis zum Handgelenke, und hatten an dieſem wie am
Oberarme dunkle Querſtreifen, die wie ein Armband
ſchloſſen. Natalie ſtand ganz aufrecht, ja der Ober¬
körper war ſogar ein wenig zurückgebogen. Der linke
Arm war ausgeſtreckt, und ſtüzte ſich mittelſt eines
aufrecht ſtehenden Buches, auf das ſie die Hand legte,
auf das Tiſchchen. Die rechte Hand lag leicht auf
dem linken Unterarm. Das unbeſchreiblich ſchöne An¬
geſicht war in Ruhe, als hätten die Augen, die jezt
von den Lidern bedeckt waren, ſich geſenkt und ſie
dächte nach. Eine ſolche reine feine Geiſtigkeit war in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/23>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.