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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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meinem Lebensende in ihnen lesen. Sie begleiten mich
mit ihren Gedanken wie mit großen Erquickungen
durch den Rest meines Lebens, und werden mir wohl,
wie ich ahne, an der dunkeln Pforte Kränze aufhän¬
gen, als wären sie von meinen eigenen Rosen gefloch¬
ten. Deßhalb gebe ich auch kein Buch aus dem Hause,
weil ich nicht weiß, ob ich es nicht in nächster Zeit
selber brauchen werde. Im Hause stehen sie jedem,
der davon Gebrauch machen will, zu Gebothe. Nur
für Gustav wird eine Auswahl getroffen, weil er noch
zu jung ist, und nicht alles sondern kann. Er würde
hier zwar nichts gänzlich Schlechtes finden; aber nicht
alles Gute würde er verstehen, und dann wäre die
daran gewendete Zeit verloren; oder er könnte es
mißverstehen, und dann wäre der Erfolg ein unrich¬
tiger. Das Schlechte, das sich Dichtkunst nennt, ist
der Jugend sehr gefährlich. In der Wissenschaft zeigt
es sich viel leichter auf. In der Mathematik liegt es
in der Darstellung, da solche Werke wohl kaum vor¬
kommen dürften, in denen sogar der Stoff fehlerhaft
wäre, in der Naturwissenschaft liegt es in der Dar¬
stellung wie im Stoffe, in welch lezterem es sich in
der Gestalt gewagter Behauptungen ausspricht; nur
in der sogenannten Weisheitslehre kann es verborgener

meinem Lebensende in ihnen leſen. Sie begleiten mich
mit ihren Gedanken wie mit großen Erquickungen
durch den Reſt meines Lebens, und werden mir wohl,
wie ich ahne, an der dunkeln Pforte Kränze aufhän¬
gen, als wären ſie von meinen eigenen Roſen gefloch¬
ten. Deßhalb gebe ich auch kein Buch aus dem Hauſe,
weil ich nicht weiß, ob ich es nicht in nächſter Zeit
ſelber brauchen werde. Im Hauſe ſtehen ſie jedem,
der davon Gebrauch machen will, zu Gebothe. Nur
für Guſtav wird eine Auswahl getroffen, weil er noch
zu jung iſt, und nicht alles ſondern kann. Er würde
hier zwar nichts gänzlich Schlechtes finden; aber nicht
alles Gute würde er verſtehen, und dann wäre die
daran gewendete Zeit verloren; oder er könnte es
mißverſtehen, und dann wäre der Erfolg ein unrich¬
tiger. Das Schlechte, das ſich Dichtkunſt nennt, iſt
der Jugend ſehr gefährlich. In der Wiſſenſchaft zeigt
es ſich viel leichter auf. In der Mathematik liegt es
in der Darſtellung, da ſolche Werke wohl kaum vor¬
kommen dürften, in denen ſogar der Stoff fehlerhaft
wäre, in der Naturwiſſenſchaft liegt es in der Dar¬
ſtellung wie im Stoffe, in welch lezterem es ſich in
der Geſtalt gewagter Behauptungen ausſpricht; nur
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[53/0067] meinem Lebensende in ihnen leſen. Sie begleiten mich mit ihren Gedanken wie mit großen Erquickungen durch den Reſt meines Lebens, und werden mir wohl, wie ich ahne, an der dunkeln Pforte Kränze aufhän¬ gen, als wären ſie von meinen eigenen Roſen gefloch¬ ten. Deßhalb gebe ich auch kein Buch aus dem Hauſe, weil ich nicht weiß, ob ich es nicht in nächſter Zeit ſelber brauchen werde. Im Hauſe ſtehen ſie jedem, der davon Gebrauch machen will, zu Gebothe. Nur für Guſtav wird eine Auswahl getroffen, weil er noch zu jung iſt, und nicht alles ſondern kann. Er würde hier zwar nichts gänzlich Schlechtes finden; aber nicht alles Gute würde er verſtehen, und dann wäre die daran gewendete Zeit verloren; oder er könnte es mißverſtehen, und dann wäre der Erfolg ein unrich¬ tiger. Das Schlechte, das ſich Dichtkunſt nennt, iſt der Jugend ſehr gefährlich. In der Wiſſenſchaft zeigt es ſich viel leichter auf. In der Mathematik liegt es in der Darſtellung, da ſolche Werke wohl kaum vor¬ kommen dürften, in denen ſogar der Stoff fehlerhaft wäre, in der Naturwiſſenſchaft liegt es in der Dar¬ ſtellung wie im Stoffe, in welch lezterem es ſich in der Geſtalt gewagter Behauptungen ausſpricht; nur in der ſogenannten Weisheitslehre kann es verborgener

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/67>, abgerufen am 22.11.2024.