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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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Ich sah sehr gut ein, was sie sagten, und wußte
auch, woher die Fehler kämen, von denen sie redeten.
Ich hatte bisher alle Gegenstände in Hinblick auf
meine Wissenschaft gezeichnet, und in dieser waren
Merkmale die Hauptsache. Diese mußten in der Zeich¬
nung ausgedrückt sein, und gerade die am schärfsten,
durch welche sich die Gegenstände von verwandten
unterschieden. Selbst bei meinem Zeichnen von An¬
gesichtern hatte ich deren Linien ihr Körperliches ihre
Licht- und Schattenvertheilung unmittelbar vor mir.
Daher war mein Auge geübt, selbst bei fernen Gegen¬
ständen das, was sie wirklich an sich hatten, zu
sehen, wenn es auch noch so undeutlich war, und da¬
für auf das, was ihnen durch Luft Licht und Dünste
gegeben wurde, weniger zu achten, ja diese Dinge als
Hindernisse der Beobachtung eher weg zu denken, als
zum Gegenstande der Aufmerksamkeit zu machen.
Durch das Urtheil meiner Freunde wurde mir der
Verstand plözlich geöffnet, daß ich das, was mir bis¬
her immer als wesenlos erschienen war, betrachten
und kennen lernen müsse. Durch Luft Licht Dünste
Wolken durch nahe stehende andere Körper gewin¬
nen die Gegenstände ein anderes Aussehen, dieses
müsse ich ergründen, und die veranlassenden Dinge

Ich ſah ſehr gut ein, was ſie ſagten, und wußte
auch, woher die Fehler kämen, von denen ſie redeten.
Ich hatte bisher alle Gegenſtände in Hinblick auf
meine Wiſſenſchaft gezeichnet, und in dieſer waren
Merkmale die Hauptſache. Dieſe mußten in der Zeich¬
nung ausgedrückt ſein, und gerade die am ſchärfſten,
durch welche ſich die Gegenſtände von verwandten
unterſchieden. Selbſt bei meinem Zeichnen von An¬
geſichtern hatte ich deren Linien ihr Körperliches ihre
Licht- und Schattenvertheilung unmittelbar vor mir.
Daher war mein Auge geübt, ſelbſt bei fernen Gegen¬
ſtänden das, was ſie wirklich an ſich hatten, zu
ſehen, wenn es auch noch ſo undeutlich war, und da¬
für auf das, was ihnen durch Luft Licht und Dünſte
gegeben wurde, weniger zu achten, ja dieſe Dinge als
Hinderniſſe der Beobachtung eher weg zu denken, als
zum Gegenſtande der Aufmerkſamkeit zu machen.
Durch das Urtheil meiner Freunde wurde mir der
Verſtand plözlich geöffnet, daß ich das, was mir bis¬
her immer als weſenlos erſchienen war, betrachten
und kennen lernen müſſe. Durch Luft Licht Dünſte
Wolken durch nahe ſtehende andere Körper gewin¬
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[47/0061] Ich ſah ſehr gut ein, was ſie ſagten, und wußte auch, woher die Fehler kämen, von denen ſie redeten. Ich hatte bisher alle Gegenſtände in Hinblick auf meine Wiſſenſchaft gezeichnet, und in dieſer waren Merkmale die Hauptſache. Dieſe mußten in der Zeich¬ nung ausgedrückt ſein, und gerade die am ſchärfſten, durch welche ſich die Gegenſtände von verwandten unterſchieden. Selbſt bei meinem Zeichnen von An¬ geſichtern hatte ich deren Linien ihr Körperliches ihre Licht- und Schattenvertheilung unmittelbar vor mir. Daher war mein Auge geübt, ſelbſt bei fernen Gegen¬ ſtänden das, was ſie wirklich an ſich hatten, zu ſehen, wenn es auch noch ſo undeutlich war, und da¬ für auf das, was ihnen durch Luft Licht und Dünſte gegeben wurde, weniger zu achten, ja dieſe Dinge als Hinderniſſe der Beobachtung eher weg zu denken, als zum Gegenſtande der Aufmerkſamkeit zu machen. Durch das Urtheil meiner Freunde wurde mir der Verſtand plözlich geöffnet, daß ich das, was mir bis¬ her immer als weſenlos erſchienen war, betrachten und kennen lernen müſſe. Durch Luft Licht Dünſte Wolken durch nahe ſtehende andere Körper gewin¬ nen die Gegenſtände ein anderes Ausſehen, dieſes müſſe ich ergründen, und die veranlaſſenden Dinge

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/61>, abgerufen am 23.11.2024.