Maßstab gewinne, nicht aber, daß man dadurch künst¬ lerische Aufnahmen von Landschaften mache, weil durch einen solchen Vorgang die künstlerische Freiheit und Leichtigkeit verloren würde, welche in Bezug auf Dar¬ stellung das Wesen und das Herz der Kunst sei. Das Auge soll nur geübt und unterrichtet werden, die Seele müsse schaffen, das Auge soll ihr dienen. In Hinsicht der Farbgebung der Fernen rieth er mir, dort, wo ich einen Zweifel hätte, ob ich etwas sähe oder nur wisse, es lie¬ ber nicht anzugeben, und überhaupt in der Farbe lieber unbestimmter als bestimmter zu sein, weil dadurch die Gegenstände an Großartigkeit gewinnen. Sie werden durch die Unbestimmtheit ferner und durch dieses allein größer. Durch Linien des Zeichnenstiftes auf dem kleinen Papiere oder der kleinen Leinwand könne man nichts groß machen. Durch Verdeutlichung werden die Körper näher gerückt und verkleinert. Wenn über¬ haupt ein Fehler gegen die Genauigkeit gemacht werden müsse -- und kein Mensch könne Dinge namentlich Landschaften in ihrer völligen Wesenheit geben -- so sei es besser, die Gegenstände großartiger und über¬ sichtlicher zu geben, als in zu viele einzelne Merkmale zerstreut. Das erste sei das Künstlerischere und Wirk¬ samere.
Maßſtab gewinne, nicht aber, daß man dadurch künſt¬ leriſche Aufnahmen von Landſchaften mache, weil durch einen ſolchen Vorgang die künſtleriſche Freiheit und Leichtigkeit verloren würde, welche in Bezug auf Dar¬ ſtellung das Weſen und das Herz der Kunſt ſei. Das Auge ſoll nur geübt und unterrichtet werden, die Seele müſſe ſchaffen, das Auge ſoll ihr dienen. In Hinſicht der Farbgebung der Fernen rieth er mir, dort, wo ich einen Zweifel hätte, ob ich etwas ſähe oder nur wiſſe, es lie¬ ber nicht anzugeben, und überhaupt in der Farbe lieber unbeſtimmter als beſtimmter zu ſein, weil dadurch die Gegenſtände an Großartigkeit gewinnen. Sie werden durch die Unbeſtimmtheit ferner und durch dieſes allein größer. Durch Linien des Zeichnenſtiftes auf dem kleinen Papiere oder der kleinen Leinwand könne man nichts groß machen. Durch Verdeutlichung werden die Körper näher gerückt und verkleinert. Wenn über¬ haupt ein Fehler gegen die Genauigkeit gemacht werden müſſe — und kein Menſch könne Dinge namentlich Landſchaften in ihrer völligen Weſenheit geben — ſo ſei es beſſer, die Gegenſtände großartiger und über¬ ſichtlicher zu geben, als in zu viele einzelne Merkmale zerſtreut. Das erſte ſei das Künſtleriſchere und Wirk¬ ſamere.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0060"n="46"/>
Maßſtab gewinne, nicht aber, daß man dadurch künſt¬<lb/>
leriſche Aufnahmen von Landſchaften mache, weil durch<lb/>
einen ſolchen Vorgang die künſtleriſche Freiheit und<lb/>
Leichtigkeit verloren würde, welche in Bezug auf Dar¬<lb/>ſtellung das Weſen und das Herz der Kunſt ſei. Das<lb/>
Auge ſoll nur geübt und unterrichtet werden, die Seele<lb/>
müſſe ſchaffen, das Auge ſoll ihr dienen. In Hinſicht der<lb/>
Farbgebung der Fernen rieth er mir, dort, wo ich einen<lb/>
Zweifel hätte, ob ich etwas ſähe oder nur wiſſe, es lie¬<lb/>
ber nicht anzugeben, und überhaupt in der Farbe lieber<lb/>
unbeſtimmter als beſtimmter zu ſein, weil dadurch die<lb/>
Gegenſtände an Großartigkeit gewinnen. Sie werden<lb/>
durch die Unbeſtimmtheit ferner und durch dieſes allein<lb/>
größer. Durch Linien des Zeichnenſtiftes auf dem<lb/>
kleinen Papiere oder der kleinen Leinwand könne man<lb/>
nichts groß machen. Durch Verdeutlichung werden<lb/>
die Körper näher gerückt und verkleinert. Wenn über¬<lb/>
haupt ein Fehler gegen die Genauigkeit gemacht werden<lb/>
müſſe — und kein Menſch könne Dinge namentlich<lb/>
Landſchaften in ihrer völligen Weſenheit geben —ſo<lb/>ſei es beſſer, die Gegenſtände großartiger und über¬<lb/>ſichtlicher zu geben, als in zu viele einzelne Merkmale<lb/>
zerſtreut. Das erſte ſei das Künſtleriſchere und Wirk¬<lb/>ſamere.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[46/0060]
Maßſtab gewinne, nicht aber, daß man dadurch künſt¬
leriſche Aufnahmen von Landſchaften mache, weil durch
einen ſolchen Vorgang die künſtleriſche Freiheit und
Leichtigkeit verloren würde, welche in Bezug auf Dar¬
ſtellung das Weſen und das Herz der Kunſt ſei. Das
Auge ſoll nur geübt und unterrichtet werden, die Seele
müſſe ſchaffen, das Auge ſoll ihr dienen. In Hinſicht der
Farbgebung der Fernen rieth er mir, dort, wo ich einen
Zweifel hätte, ob ich etwas ſähe oder nur wiſſe, es lie¬
ber nicht anzugeben, und überhaupt in der Farbe lieber
unbeſtimmter als beſtimmter zu ſein, weil dadurch die
Gegenſtände an Großartigkeit gewinnen. Sie werden
durch die Unbeſtimmtheit ferner und durch dieſes allein
größer. Durch Linien des Zeichnenſtiftes auf dem
kleinen Papiere oder der kleinen Leinwand könne man
nichts groß machen. Durch Verdeutlichung werden
die Körper näher gerückt und verkleinert. Wenn über¬
haupt ein Fehler gegen die Genauigkeit gemacht werden
müſſe — und kein Menſch könne Dinge namentlich
Landſchaften in ihrer völligen Weſenheit geben — ſo
ſei es beſſer, die Gegenſtände großartiger und über¬
ſichtlicher zu geben, als in zu viele einzelne Merkmale
zerſtreut. Das erſte ſei das Künſtleriſchere und Wirk¬
ſamere.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/60>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.