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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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die Thiere hin, deren Spuren wir ahnungsvoll in
diesen Gebilden sehen? Seit welcher Zeit sind die
Riesenschnecken verschwunden, deren Andenken uns hier
überliefert wird? Ein Andenken, das in ferne Zeiten
zurück geht, die niemand gemessen hat, die vielleicht
niemand gesehen hat, und die länger gedauert haben,
als der Ruhm irgend eines Sterblichen.

Eine Thatsache fiel mir auf. Ich fand todte Wäl¬
der, gleichsam Gebeinhäuser von Wäldern, nur daß
die Gebeine hier nicht in eine Halle gesammelt wa¬
ren, sondern noch aufrecht auf ihrem Boden standen.
Weiße abgeschälte todte Bäume in großer Zahl, so
daß vermuthet werden mußte, daß an dieser Stelle ein
Wald gestanden sei. Die Bäume waren Fichten oder
Lärchen oder Tannen. Jezt konnte an der Stelle ein
Baum gar nicht mehr wachsen, es sind nur Kriechhölzer
um die abgestorbenen Stämme, und auch diese selten.
Meistens bedeckt Gerölle den Boden oder größere mit
gelbem Moose überdeckte Steine. Ist diese Thatsache
eine vereinzelte nur durch vereinzelte Ortsursachen her¬
vorgebracht? Hängt sie mit der großen Weltbildung
zusammen? Sind die Berge gestiegen, und haben sie
ihren Wälderschmuck in höhere todbringende Lüfte ge¬
hoben? Oder hat sich der Boden geändert, oder wa¬

die Thiere hin, deren Spuren wir ahnungsvoll in
dieſen Gebilden ſehen? Seit welcher Zeit ſind die
Rieſenſchnecken verſchwunden, deren Andenken uns hier
überliefert wird? Ein Andenken, das in ferne Zeiten
zurück geht, die niemand gemeſſen hat, die vielleicht
niemand geſehen hat, und die länger gedauert haben,
als der Ruhm irgend eines Sterblichen.

Eine Thatſache fiel mir auf. Ich fand todte Wäl¬
der, gleichſam Gebeinhäuſer von Wäldern, nur daß
die Gebeine hier nicht in eine Halle geſammelt wa¬
ren, ſondern noch aufrecht auf ihrem Boden ſtanden.
Weiße abgeſchälte todte Bäume in großer Zahl, ſo
daß vermuthet werden mußte, daß an dieſer Stelle ein
Wald geſtanden ſei. Die Bäume waren Fichten oder
Lärchen oder Tannen. Jezt konnte an der Stelle ein
Baum gar nicht mehr wachſen, es ſind nur Kriechhölzer
um die abgeſtorbenen Stämme, und auch dieſe ſelten.
Meiſtens bedeckt Gerölle den Boden oder größere mit
gelbem Mooſe überdeckte Steine. Iſt dieſe Thatſache
eine vereinzelte nur durch vereinzelte Ortsurſachen her¬
vorgebracht? Hängt ſie mit der großen Weltbildung
zuſammen? Sind die Berge geſtiegen, und haben ſie
ihren Wälderſchmuck in höhere todbringende Lüfte ge¬
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[36/0050] die Thiere hin, deren Spuren wir ahnungsvoll in dieſen Gebilden ſehen? Seit welcher Zeit ſind die Rieſenſchnecken verſchwunden, deren Andenken uns hier überliefert wird? Ein Andenken, das in ferne Zeiten zurück geht, die niemand gemeſſen hat, die vielleicht niemand geſehen hat, und die länger gedauert haben, als der Ruhm irgend eines Sterblichen. Eine Thatſache fiel mir auf. Ich fand todte Wäl¬ der, gleichſam Gebeinhäuſer von Wäldern, nur daß die Gebeine hier nicht in eine Halle geſammelt wa¬ ren, ſondern noch aufrecht auf ihrem Boden ſtanden. Weiße abgeſchälte todte Bäume in großer Zahl, ſo daß vermuthet werden mußte, daß an dieſer Stelle ein Wald geſtanden ſei. Die Bäume waren Fichten oder Lärchen oder Tannen. Jezt konnte an der Stelle ein Baum gar nicht mehr wachſen, es ſind nur Kriechhölzer um die abgeſtorbenen Stämme, und auch dieſe ſelten. Meiſtens bedeckt Gerölle den Boden oder größere mit gelbem Mooſe überdeckte Steine. Iſt dieſe Thatſache eine vereinzelte nur durch vereinzelte Ortsurſachen her¬ vorgebracht? Hängt ſie mit der großen Weltbildung zuſammen? Sind die Berge geſtiegen, und haben ſie ihren Wälderſchmuck in höhere todbringende Lüfte ge¬ hoben? Oder hat ſich der Boden geändert, oder wa¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/50>, abgerufen am 28.03.2024.