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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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wie eine unbekannte Geschichte, die ich nicht enträth¬
seln konnte, und zu der es doch Anhaltspunkte geben
mußte, um die Ahnungen in Nahrung zu sezen.

Wenn ich die Stücke unbelebter Körper, die ich
für meine Schreine sammelte, ansah, so fiel mir auf,
daß hier diese Körper liegen, dort andere, daß unge¬
heure Mengen desselben Stoffes zu großen Gebirgen
aufgethürmt sind, und daß wieder in kleinen Abstän¬
den kleine Lagerungen mit einander wechseln. Woher
sind sie gekommen, wie haben sie sich gehäuft? Liegen
sie nach einem Geseze, und wie ist dieses geworden?
Oft sind Theile eines größern Körpers in Menge oder
einzeln an Stellen, wo der Körper selber nicht ist, wo
sie nicht sein sollen, wo sie Fremdlinge sind. Wie sind
sie an den Plaz gekommen? Wie ist überhaupt an
einer Stelle gerade dieser Stoff entstanden und nicht
ein anderer? Woher ist die Berggestalt im Großen ge¬
kommen? Ist sie noch in ihrer Reinheit da, oder hat
sie Veränderungen erlitten, und erleidet sie dieselben
noch immer? Wie ist die Gestalt der Erde selber ge¬
worden, wie hat sich ihr Antliz gefurcht, sind die
Lücken groß, sind sie klein?

Wenn ich auf meinen Marmor kam -- wie be¬
wunderungswürdig ist der Marmor! Wo sind denn

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wie eine unbekannte Geſchichte, die ich nicht enträth¬
ſeln konnte, und zu der es doch Anhaltspunkte geben
mußte, um die Ahnungen in Nahrung zu ſezen.

Wenn ich die Stücke unbelebter Körper, die ich
für meine Schreine ſammelte, anſah, ſo fiel mir auf,
daß hier dieſe Körper liegen, dort andere, daß unge¬
heure Mengen deſſelben Stoffes zu großen Gebirgen
aufgethürmt ſind, und daß wieder in kleinen Abſtän¬
den kleine Lagerungen mit einander wechſeln. Woher
ſind ſie gekommen, wie haben ſie ſich gehäuft? Liegen
ſie nach einem Geſeze, und wie iſt dieſes geworden?
Oft ſind Theile eines größern Körpers in Menge oder
einzeln an Stellen, wo der Körper ſelber nicht iſt, wo
ſie nicht ſein ſollen, wo ſie Fremdlinge ſind. Wie ſind
ſie an den Plaz gekommen? Wie iſt überhaupt an
einer Stelle gerade dieſer Stoff entſtanden und nicht
ein anderer? Woher iſt die Berggeſtalt im Großen ge¬
kommen? Iſt ſie noch in ihrer Reinheit da, oder hat
ſie Veränderungen erlitten, und erleidet ſie dieſelben
noch immer? Wie iſt die Geſtalt der Erde ſelber ge¬
worden, wie hat ſich ihr Antliz gefurcht, ſind die
Lücken groß, ſind ſie klein?

Wenn ich auf meinen Marmor kam — wie be¬
wunderungswürdig iſt der Marmor! Wo ſind denn

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[35/0049] wie eine unbekannte Geſchichte, die ich nicht enträth¬ ſeln konnte, und zu der es doch Anhaltspunkte geben mußte, um die Ahnungen in Nahrung zu ſezen. Wenn ich die Stücke unbelebter Körper, die ich für meine Schreine ſammelte, anſah, ſo fiel mir auf, daß hier dieſe Körper liegen, dort andere, daß unge¬ heure Mengen deſſelben Stoffes zu großen Gebirgen aufgethürmt ſind, und daß wieder in kleinen Abſtän¬ den kleine Lagerungen mit einander wechſeln. Woher ſind ſie gekommen, wie haben ſie ſich gehäuft? Liegen ſie nach einem Geſeze, und wie iſt dieſes geworden? Oft ſind Theile eines größern Körpers in Menge oder einzeln an Stellen, wo der Körper ſelber nicht iſt, wo ſie nicht ſein ſollen, wo ſie Fremdlinge ſind. Wie ſind ſie an den Plaz gekommen? Wie iſt überhaupt an einer Stelle gerade dieſer Stoff entſtanden und nicht ein anderer? Woher iſt die Berggeſtalt im Großen ge¬ kommen? Iſt ſie noch in ihrer Reinheit da, oder hat ſie Veränderungen erlitten, und erleidet ſie dieſelben noch immer? Wie iſt die Geſtalt der Erde ſelber ge¬ worden, wie hat ſich ihr Antliz gefurcht, ſind die Lücken groß, ſind ſie klein? Wenn ich auf meinen Marmor kam — wie be¬ wunderungswürdig iſt der Marmor! Wo ſind denn 3 *

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/49>, abgerufen am 18.04.2024.